31.03.2022

Übertragung des Kinderfreibetrags bei in nichtehelicher Lebensgemeinschaft lebenden Elternteilen

1. Bei einer funktionierenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann im Hinblick auf die Übertragung des Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen zwischen den Elternteilen für im Haushalt lebende minderjährige Kinder (in Form von Natural-, Bar- und Betreuungsunterhalt) dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht.
2. Leben nicht miteinander verheiratete Eltern zusammen mit einem gemeinsamen minderjährigen Kind in einem gemeinsamen Haushalt, kann nicht allein deshalb, weil ein betreuender Elternteil keinen oder nur einen geringen Beitrag zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet, davon ausgegangen werden, dass dieser Elternteil i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen nachkommt.
3. Eine fehlende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass ein Elternteil ein im gemeinsamen Haushalt lebendes minderjähriges Kind überwiegend betreut und keine oder nur geringe Beiträge zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet.

Kurzbesprechung
BFH v. 15. 12. 2021, III R 24/20

EStG § 32 Abs 6 S 1, § 32 Abs 6 S 6
BGB § 1606 Abs 3 S 1, § 1606 Abs 3 S 2, § 1610, § 1612 Abs 1 S 1, § 1612 Abs 2 S 1, § 1626 Abs 1 S 1


Streitig war, ob in den Streitjahren 2015 bis 2017 (Streitjahre) die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass die auf den Kindsvater entfallenden Kinderfreibeträge auf die Kindsmutter übertragen werden können.

Die Anspruchsberechtigte ist die Mutter eines im März 1998 geborenen Sohnes (M) und einer im April 2001 geborenen Tochter (L). Mit dem Vater der beiden Kinder lebte sie in den Streitjahren in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in einem gemeinsamen Haushalt. M befand sich nach Erreichen der Volljährigkeit zunächst noch in Schul- und dann in Berufsausbildung.

Das FA berücksichtigte in den Einkommensteuerbescheiden für 2015 für 2016 und für 2017 nur jeweils die auf die Anspruchsberechtigte entfallenden Kinderfreibeträge und Freibeträge für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-Freibetrag). Eine weitergehende Gewährung lehnte das FA mit der Begründung ab, dass eine Übertragung der kindbedingten Freibeträge ausscheide, weil die beiden Kinder während des gesamten Veranlagungszeitraums minderjährig gewesen seien.

Die hiergegen gerichtete Klage, mit der die Anspruchsberechtige begehrte, in allen Streitjahren sowohl den auf den Kindsvater entfallenden Kinderfreibetrag als auch den BEA-Freibetrag für beide Kinder vollständig auf sie zu übertragen, wies das FG als unbegründet ab.

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, wird auf Antrag eines Elternteils, der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 6 EStG).Die Unterhaltspflicht im Sinne dieser Vorschrift bestimmt sich nach bürgerlichem Recht.

Für den Unterhalt, der den gesamten Lebensbedarf umfasst (§ 1610 Abs. 2 BGB), haften Eltern als gleich nahe Verwandte ihren Kindern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB). Die gesetzliche Regelung geht mithin davon aus, dass ein Elternteil das minderjährige Kind betreut und versorgt und der andere Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hat. Liegt das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil und trägt dieser die Hauptverantwortung für das Kind, so erfüllt dieser Elternteil durch die Pflege und Erziehung des Kindes seine Unterhaltspflicht i.S. des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB.

Im Streitfall lebten die Elternteile jedoch zusammen in einem gemeinsamen Haushalt, leisteten den Kindern Natural- und gegebenenfalls auch Barunterhalt und betreuten sie gemeinsam. § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB geht jedoch davon aus, dass die Eltern getrennt leben und das Kind von einem Elternteil allein gepflegt und erzogen werde. Die Vorschrift greift daher nicht bei einem Zusammenleben der Eltern und Kinder in einem gemeinsamen Haushalt. Nach Auffassung des FG kann für Zwecke des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen innerhalb einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht. Übertragen auf die Verhältnisse des Streitfalls war das FG daher im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine (weitergehende) Übertragung der dem Kindsvater für die Veranlagungszeiträume 2015, 2016 und 2017 zustehenden Kinderfreibeträge auf die Anspruchsberechtigte ausgeschlossen war.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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