21.04.2016

Verbraucherschutz: Verpflichtung nationaler Gerichte zur Prüfung der Einhaltung der unionsrechtlichen Vorschriften besteht auch im Insolvenzrecht

Die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen die Einhaltung der Vorschriften des Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes zu prüfen, findet auf Insolvenzverfahren Anwendung. Aufgrund dieser Verpflichtung hat das nationale Gericht auch zu prüfen, ob die in Verbraucherkreditverträgen aufzuführenden Informationen in klarer und prägnanter Form angegeben worden sind.

EuGH 21.4.2016, C-377/14
Der Sachverhalt:
Im August 2011 schlossen die Eheleute Radlinger mit der Gesellschaft Smart Hypo einen Vertrag über einen Verbraucherkredit i.H.v. 1,17 Mio. tschechischen Kronen (CZK) (rd. 43.300 €). Sie verpflichteten sich, an den Kreditgeber rd. 3 Mio. CZK (rd. 109.500 €) in 120 Monatsraten zurückzuzahlen (der effektive Jahreszins des Kredits belief sich auf 28,9 Prozent) und ihm, für den Fall, dass es ihnen nicht gelänge, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen, bedeutende Vertragsstrafen zu zahlen.

Im September 2011 forderte die Gesellschaft Finway, an die Smart Hypo ihre Forderungen gegen die Eheleute Radlinger abgetreten hatte, diese auf, ihr unverzüglich die gesamte Schuld einschließlich Zinsen, Kosten und Vertragsstrafen zurückzuzahlen. Dies wurde damit begründet, dass die Eheleute sie bei Abschluss des Vertrags nicht darüber informiert hätten, dass eine Zwangsvollstreckung wegen eines Betrags von rd. 4.300 CZK (rd. 160 €) in ihr Grundeigentum angeordnet worden sei.

Im April 2013 erklärte das Regionalgericht Prag die Eheleute Radlinger für insolvent und eröffnete ein sie betreffendes Insolvenzverfahren. Im Rahmen dieses Verfahrens erhoben sie Einwendungen gegen den von Finway geforderten Betrag (rd. 4,4 Mio. CZK, also rd. 163 000 €).

In diesem Zusammenhang fragt das Gericht den EuGH, ob die Vorschriften des Unionsrechts über den Verbraucherschutz den tschechischen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die es dem zur Entscheidung über die Insolvenz berufenen Gericht nicht erlauben, von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer in einem Verbrauchervertrag festgelegten Vertragsklausel zu prüfen. Es möchte zudem wissen, ob das nationale Gericht von Amts wegen zu prüfen hat, ob die Informationen über Verbraucherkreditverträge, die in diesen aufgeführt sein müssen, klar und prägnant angegeben worden sind.

Die Gründe:
Die Verpflichtung des nationalen Gerichts, von Amts wegen zu prüfen, ob Gewerbetreibende die Vorschriften des Unionsrechts auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes eingehalten haben, findet auf Insolvenzverfahren Anwendung und gilt auch für die Vorschriften über Verbraucherkredite.

Insoweit steht die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Richtlinie 93/13/EWG) der tschechischen Regelung entgegen, die es dem Gericht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nicht erlaubt, den missbräuchlichen Charakter einer in einem Verbrauchervertrag festgelegten Klausel zu prüfen, obwohl das Gericht über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. Diese Richtlinie steht der fraglichen Regelung auch insoweit entgegen, als nach dieser nur bestimmte Forderungen wegen einiger eingeschränkter Gründe (Verjährung oder Erlöschen) bestritten werden können.

Nach der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge (Richtlinie 2008/48/EG) muss ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über Forderungen aus einem solchen Vertrag anhängig ist, ebenfalls von Amts wegen prüfen, ob die Informationen über den Kredit (wie z.B. der effektive Jahreszins), die in diesem Vertrag aufgeführt sein müssen, in klarer und prägnanter Form angegeben worden sind. Das Gericht ist in der Folge auch verpflichtet, alle Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dem Verstoß gegen die Informationspflicht nach seinem innerstaatlichen Recht ergeben (die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein).

Im Übrigen kann nach der letzteren Richtlinie der "Gesamtkreditbetrag" keinen der Beträge einschließen, die unter die "Gesamtkosten des Kredits" fallen, d.h. die Kosten, die dazu bestimmt sind, den im Zusammenhang mit dem betreffenden Kredit vereinbarten Verpflichtungen, wie Verwaltungskosten, Zinsen, Provisionen und jeder anderen Art von Kosten, die der Verbraucher zu zahlen hat, nachzukommen. Die rechtswidrige Einbeziehung dieser Beträge in den Gesamtkreditbetrag hat eine Unterbewertung des effektiven Jahreszinses zur Folge, dessen Berechnung sich nach dem Gesamtkreditbetrag richtet, und führt somit zu einer Beeinträchtigung der Genauigkeit der im Vertrag aufzuführenden Informationen.

Was die Prüfung der Missbräuchlichkeit von dem säumigen Verbraucher auferlegten Vertragsstrafen angeht, ist das nationale Gericht verpflichtet, die kumulative Wirkung aller Vertragsklauseln zu beurteilen und, in dem Fall, dass es die Missbräuchlichkeit mehrerer dieser Klauseln feststellt, alle diejenigen unangewendet zu lassen, die missbräuchlich sind, und nicht nur einen Teil derselben.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 43 vom 21.4.2016
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