01.03.2013

Verlängerung der Spekulationsfrist für Wertpapiere in 1999 verfassungswidrig

Die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist von sechs Monaten auf ein Jahr ist für Wertpapiergeschäfte verfassungswidrig, bei denen bereits am 31.3.1999 die bisher geltende sechsmonatige Spekulationsfrist abgelaufen war.

FG Köln 23.1.2013, 4 K 741/11
Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft die Steuerpflicht eines Gewinns aus der Veräußerung von Wertpapieren. Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger bezog im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Kapitalvermögen. Nach der Veranlagung (erstmaliger Einkommensteuerbescheid im Mai 2001) erlangte das Finanzamt davon Kenntnis, dass der Kläger Wertpapiere innerhalb der einjährigen Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG veräußert hatte. Der Kläger hatte die Papiere am 8.1.1998 zu einem Preis von 39.000 DM angeschafft und am 07.1.1999 zu einem Preis von rd. 49.000 DM veräußert.

Mit nach § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO geändertem Einkommensteuerbescheid 1999 erfasste das Finanzamt einen Veräußerungserlös von rd. 10.000 DM. Mit ihrer Klage machen die Kläger geltend, dass die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 verlängerte Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG von bisher sechs auf zwölf Monate auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden dürfe. Die bisher geltende Frist von sechs Monaten sei am 8.7.1998 abgelaufen. Die Veräußerung sei am 7.1.1999 realisiert worden. Die neue Frist von zwölf Monaten hätte am 8.1.1999 geendet. Diese Frist sei aber erst nach dem Verkauf der Wertpapiere eingeführt worden.

Das FG gab der Klage statt. Die Revision zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Die Gründe:
Das Finanzamt hat zu Unrecht hinsichtlich der Wertpapiere steuerpflichtige Einkünfte aus Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG angenommen.

Die Regelung in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 22 Nr. 2 EStG a.F. erfasst Veräußerungsgeschäfte bei Wirtschaftsgütern, insbes. bei Wertpapieren, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt. Im Streitfall begann die Spekulationsfrist grundsätzlich am 8.1.1998. Sie beträgt nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 ein Jahr. Diese Regelung ist nach § 52 Abs. 39 S. 1 EStG in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 22.12.1999 bereits im Streitjahr anzuwenden. Der Kläger hat seine Wertpapiere am 7.1.1999 und damit innerhalb der Jahresfrist veräußert. Im Streitfall ist jedoch im Zusammenhang mit der Veräußerung der Wertpapiere am 7.1.1999 aufgrund eines verfassungsrechtlichen Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes (hier: Fall der unzulässigen Rückwirkung) kein Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften anzusetzen.

Die Besteuerung nach § 23 EStG begegnet für den Veranlagungszeitraum 1999 zwar grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; die Rechtsanwendung im Streitfall führt aber zu einer verfassungsrechtlich problematischen Rückwirkung, weil der Kläger die Wertpapiere zu einer Zeit erworben hat, als noch die sechsmonatige Spekulationsfrist galt (vgl. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der Fassung bis Veranlagungszeitraum 1998), welche im Streitfall zum Zeitpunkt der Veräußerung der Wertpapiere am 7.1.1999 bereits abgelaufen war.

Das BVerfG hat mit drei Beschlüssen vom 7.7.2010 mehrere durch das StEntlG 1999/2000/2002 rückwirkende Änderungen steuerrechtlicher Vorschriften, u.a. die Verlängerung der Spekulationsfrist bei Grundstücksveräußerungsgeschäften und die Absenkung der Beteiligungsquote bei der Besteuerung privater Veräußerungen von Kapitalanteilen teilweise wegen Verstoßes gegen die Grundsätze des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes für nichtig erklärt. Danach dürfen Wertsteigerungen, die bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.3.1999 entstanden sind und nach der zuvor geltenden Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Verkündung steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können, steuerlich nicht erfasst werden.

Der Senat sieht sich auch für den Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG an die Entscheidungen des BVerfG gebunden. Zu den tragenden Entscheidungsgründen gehören insbes. die vom BVerfG gesetzten Maßstäbe für die Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung. Übertragen auf den Streitfall führt dies dazu, dass auch die bis zum 31.3.1999 realisierten Gewinne aus der Veräußerung der Wertpapiere steuerlich nicht erfasst werden dürfen. Denn die früher geltende Sechs-Monats-Frist (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG in der Fassung bis Veranlassungszeitraum 1998) war bereits im Juli 1998, also noch weit vor Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002, abgelaufen.

Linkhinweis:

FG Köln PM vom 1.3.2013
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