27.05.2020

Verzinsungsanspruch nach Unionsrecht

Ein Zinsbescheid über Prozesszinsen enthält nicht zugleich eine stillschweigende Ablehnung weiterer Zinsen, insbesondere auf unionsrechtlicher Grundlage. Sieht eine Richtlinie eine obligatorische Steuerbefreiung vor, die der Mitgliedstaat nicht rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt hat, und kann sich der Steuerpflichtige deshalb unmittelbar auf die entsprechende Richtlinienbestimmung berufen, stehen ihm nach den unionsrechtlichen Grundsätzen Zinsen auf den Entlastungsbetrag zu, wenn der Mitgliedstaat anfänglich dessen Auszahlung verweigert.

BFH v. 22.10.2019 - VII R 24/18
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt Motorenprüfstände, in denen die durch die Verbrennung von versteuertem Benzin erzeugte mechanische Energie unter Einsatz angeschlossener Generatoren in Strom umgewandelt wird. Das Finanzamt hatte nach einem für die Klägerin erfolgreichen Prozess vor dem FG Prozesszinsen festgesetzt. Nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist gegen diesen Zinsbescheid machte die Klägerin eine weitergehende Verzinsung nach Unionsrecht geltend. Das Finanzamt lehnte dies unter Hinweis auf den Ablauf der Rechtsbehelfsfrist sowie einer für die Bescheidänderung erforderlichen Änderungsnorm ab.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage weitestgehend statt.

Gründe:
Der Klägerin steht ein weitergehender Zinsanspruch zu, der sich direkt aus dem Unionsrecht ergibt. Insoweit ist die EuGH-Rechtsprechung zur Verzinsung auf den vorliegenden Fall übertragbar.

Wie der EuGH entschieden hat, entfaltet Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EnergieStRL unmittelbare Wirkung, so dass ein Wirtschaftsbeteiligter unter Berufung auf diese Vorschrift die Erstattung einer unter Verstoß gegen diese Bestimmung erhobene Steuer erwirken kann. Hinsichtlich der fehlenden Verfügbarkeit des Erstattungsbetrags darf ihm nach den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität eine angemessene Entschädigung nicht vorenthalten werden. Insoweit ist die vorgenannte EuGH-Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall.

Im Streitfall stehen der Klägerin unionsrechtliche Zinsen allerdings erst ab dem 10.12.2011 und - begrenzt durch die bereits festgesetzten Prozesszinsen - nur bis zum 25.2.2015 zu. Denn nach der EuGH-Rechtsprechung zum Mehrwertsteuerüberschuss und zur Durchsetzung des Neutralitätsprinzips steht der Steuerbehörde eine angemessene Frist für die Bearbeitung zu. Maßgeblich ist danach, in welchem angemessenen Zeitraum eine Bearbeitung des Erstattungsantrags erwartet werden kann. Dieser Zeitraum ist bei der Berechnung des Zinsanspruchs, der dem Ausgleich des infolge des vorübergehenden Kapitalentzugs entstandenen wirtschaftlichen Nachteils dient, zu berücksichtigen. Insoweit begrenzen die Erfordernisse eines ordnungsgemäßen Vollzugs steuerrechtlicher Entlastungsregelungen den auf Unionsrecht beruhenden Zinsanspruch.

Maßgebend für den Zinsbeginn ist die Abgabe des vollständigen Antrags auf Entlastung. Nur bei Vorlage eines ordnungsgemäßen und vollständigen Antrags wird die Behörde in die Lage versetzt, den Antrag zu bearbeiten und das Vorliegen der Voraussetzungen für die beantragte Steuerentlastung festzustellen. Im Streitfall hatte das FG nicht festgestellt, dass ein unvollständiger Antrag vorliegt, so dass der BFH von der Abgabe eines vollständigen Antrags am 25.07.2011 ausgeht. Der Zinslauf beginnt mithin 4 Monate (25.11.2011) und 10 Arbeitstage (28.11.2011 bis 02.12.2011 und 05.12.2011 bis 09.12.2011) nach Abgabe dieses Antrags, also am 10.12.2011.
BFH online
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