02.07.2020

Widerruf einer Schenkung als der Grunderwerbsteuer unterliegender Erwerbsvorgang

§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG knüpft die Steuerpflicht an ein Rechtsgeschäft und nicht an die tatsächliche Vereinigung der Gesellschaftsanteile in einer Hand. Ein Widerruf kann ein Rechtsgeschäft i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG sein, wenn das Recht zum Widerruf in einem schuldrechtlichen Geschäft angelegt ist. Eine natürliche Person ist gegenüber den Weisungen eines Unternehmers in Bezug auf Gesellschaftsanteile verpflichtet i.S. des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a GrEStG a.F., wenn sie rechtlich zur Herausgabe der Anteile verpflichtet ist. Eine solche Verpflichtung zur Herausgabe liegt in der Regel vor, wenn zivilrechtlich zwischen dem Unternehmer und der natürlichen Person ein unentgeltlicher Auftrag oder ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag besteht.

Kurzbesprechung
BFH v. 4.3.2020 - II R 2/17

BGB § 662, § 667, § 675
GrEStG § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst a


Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, unterliegt nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG der Steuer --soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a GrEStG nicht in Betracht kommt-- ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % der Anteile der Gesellschaft in der Hand des Erwerbers vereinigt werden würden.

§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG knüpft die Steuerpflicht an das Rechtsgeschäft und nicht an die tatsächliche Vereinigung der Gesellschaftsanteile in einer Hand. Unter Rechtsgeschäft i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG versteht man einseitige und zweiseitige Rechtsgeschäfte, die einen Anspruch auf Übertragung eines oder mehrerer Anteile an der Gesellschaft begründen. Es muss sich dabei um ein Rechtsgeschäft handeln, das in einem schuldrechtlichen Geschäft angelegt ist. Auch ein Widerruf als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung kann ein Rechtsgeschäft i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG sein, wenn das Recht zum Widerruf in einem schuldrechtlichen Geschäft --z.B. einer vertraglichen Vereinbarung-- angelegt ist. Der Widerruf als Gestaltungsgeschäft begründet zwar selbst kein Schuldverhältnis, er ändert aber den Inhalt eines bereits bestehenden Schuldverhältnisses.

Die mögliche Anteilsvereinigung i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG kann dadurch erfolgen, dass sich die Anteile in der Hand des Erwerbers teils unmittelbar und teils mittelbar vereinigen würden. Ein möglicher unmittelbarer Anteilserwerb liegt vor, wenn der Erwerber zivilrechtlich Gesellschafter dieser Gesellschaft werden würde. Beim mittelbaren Anteilserwerb, bei dem der Erwerber selbst nicht Gesellschafter der grundbesitzenden Gesellschaft werden würde, scheidet eine Anknüpfung an das Zivilrecht aus, da es keine Regelungen für einen mittelbaren Anteilserwerb vorsieht. Es kommt vielmehr darauf an, welche rechtlich begründeten Einflussmöglichkeiten der Erwerber auf die grundbesitzende Gesellschaft hätte.

Bei einer zwischengeschalteten Personengesellschaft, die unmittelbar an einer grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt ist, ist als Anteil i.S. von § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG --wie bei einer zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft-- die Beteiligung am Gesellschaftskapital und nicht die sachenrechtliche Beteiligung am Gesamthandsvermögen maßgebend. Die Beteiligung am Gesellschaftskapital der Personengesellschaft vermittelt, soweit sie mindestens 95 % beträgt, die rechtliche Möglichkeit für den beteiligten Gesellschafter, den Willen in der Personengesellschaft in grunderwerbsteuerrechtlich erheblicher Weise durchzusetzen. Diese Möglichkeit hat der Gesellschafter auch in Bezug auf nachgeordnete Gesellschaften, an denen die zwischengeschaltete Personengesellschaft wiederum zu mindestens 95 % beteiligt ist. Die Beteiligung an diesen Gesellschaften ist unmittelbar der zwischengeschalteten Personengesellschaft und mittelbar deren Gesellschaftern zuzurechnen.

Die Steuerbarkeit eines Rechtsgeschäfts i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Erwerber vor der Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile noch nicht über eine Beteiligung am Gesellschaftskapital der zwischengeschalteten Personengesellschaft von mindestens 95 % verfügte, jedoch tatsächlich seinen Willen in der zwischengeschalteten Personengesellschaft in grunderwerbsteuerrechtlich erheblicher Weise durchsetzen konnte, weil er unwiderruflich bevollmächtigt war, für die Dauer eines ihm eingeräumten Nießbrauchs an nicht in seinem Eigentum stehenden Gesellschaftsanteilen die Stimm- und Verwaltungsrechte bei der zwischengeschalteten Personengesellschaft auszuüben. Diese Gesellschaftsanteile sind dem Vollmachtgeber und nicht dem Bevollmächtigten zuzurechnen, sodass der Bevollmächtigte durch einen Anspruch auf Übertragung dieser Anteile den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verwirklichen kann.

Im Streitfall wurde durch den Widerruf von Schenkungen der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG verwirklicht. Der Widerruf ist ein Rechtsgeschäft im Sinne dieser Vorschrift. Das Recht zum Widerruf war bereits im Schenkungsvertrag vereinbart und wurde im Schenkungswiderruf- und Übertragungsvertrag ausgeübt. Der im ursprünglichen Schenkungsvertrag vorbehaltene Widerruf der Schenkung der Kommanditanteile führte zu einer Rückabwicklung der ursprünglichen Schenkung mit der Folge, dass durch die Rückübertragung der geschenkten Kommanditanteile alle Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft in der Hand des Steuerpflichtigen vereinigt werden würden. Der Widerruf begründete einen Anspruch des Steuerpflichtigen gegen seine Söhne auf Rückübertragung der ihnen geschenkten Anteile an der Gesellschaft in Höhe von insgesamt 90 %; dieser Anspruch wurde durch die im Schenkungswiderruf- und Übertragungsvertrag vereinbarte Abtretung erfüllt. Außerdem waren dem Steuerpflichtigen mit dem Widerruf der Schenkung mittelbar Anteile von 22,5 % (= 90 % von 25 %) an Gesellschaft zuzurechnen. Daneben war er bereits vor dem Widerruf der Schenkung selbst zu 77,5 % an der grundbesitzenden Gesellschaft beteiligt, und zwar unmittelbar in Höhe von 75 % und mittelbar in Höhe von 2,5 %.

Es reicht aus, dass der Widerruf einen Anspruch auf Übertragung von Anteilen an der Gesellschaft begründet, wenn durch die Übertragung mindestens 95% der Anteile unmittelbar und mittelbar in der Hand des Steuerpflichtigen vereinigt werden würden.

Eine Steuerbarkeit nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG schied im Streitfall auch nicht deshalb aus, weil alle Anteile an der Gesellschaft bereits im Jahr 2003 nach § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a GrEStG a.F. in der Hand des Steuerpflichtigen vereinigt gewesen wären. Denn seine Söhne waren keine abhängigen Personen i.S. des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a GrEStG  a.F. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift muss eine natürliche Person zur Beachtung von Weisungen des Unternehmers in Bezug auf die Gesellschaftsanteile verpflichtet sein. Eine natürliche Person ist gegenüber dem Unternehmer in Bezug auf die Anteile weisungsgebunden, wenn sie rechtlich zur Herausgabe der Anteile verpflichtet ist. Im Streitfall bestand jedoch kein Herausgabeanspruch in Bezug auf die Kommanditanteile gegenüber den Söhnen. Die bloße Möglichkeit, die Schenkung zu widerrufen und die Abtretung der Kommanditanteile an sich zu verlangen, begründet keinen solchen Herausgabeanspruch. Ebenso wenig genügt für eine Weisungsgebundenheit i.S. des § 1 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a GrEStG a.F., dass der Steuerpflichtige sich den lebenslangen Nießbrauch an den Kommanditanteilen vorbehalten hatte und von den Söhnen für die Dauer des Nießbrauchs unwiderruflich bevollmächtigt war, die Stimm- und Verwaltungsrechte auszuüben. Eine solche unwiderrufliche Bevollmächtigung begründet keinen Herausgabeanspruch in Bezug auf die Kommanditanteile.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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