28.04.2022

Wiederaufleben einer Steuerforderung nach § 144 Abs. 1 InsO

Bei einer Streitigkeit darüber, ob eine erloschene Abgabenschuld nach § 144 Abs. 1 InsO rückwirkend wieder aufgelebt ist, handelt es sich um eine Streitigkeit über die Verwirklichung eines Steueranspruchs i.S. von § 218 Abs. 2 AO. § 144 Abs. 1 InsO setzt auch bei einem in einem Drei-Personen-Verhältnis geschlossenen Vergleich voraus, dass die Leistung anfechtbar war.

Kurzbesprechung
BFH v. 14. 12. 2021 - VII R 15/19

AO § 37, § 47, § 218 Abs 2
InsO § 143 Abs 1, § 144 Abs 1 AO


Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 AO betreffen, entscheidet das FA nach § 218 Abs. 2 AO durch Abrechnungsbescheid. Nach § 37 Abs. 1 AO sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO oder die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche. Eine Streitigkeit über die Frage, ob eine erloschene Abgabenschuld nach § 144 Abs. 1 InsO rückwirkend wieder aufgelebt ist, ist eine Streitigkeit über die Verwirklichung eines Steueranspruchs i.S. von § 218 Abs. 2 AO.

Gewährt der Empfänger einer anfechtbaren Leistung das Erlangte zurück, so lebt gemäß § 144 Abs. 1 InsO seine Forderung wieder auf. In Bezug auf § 144 InsO führt zwar die Zahlung der Steuerschuld regelmäßig zu ihrem Erlöschen und damit zur Beendigung dieses Steuerschuldverhältnisses, dass aber bei Steuerfälligkeiten, die in die insolvenzreife Zeit fallen, dieses Steuerschuldverhältnis selbst bei fristgerechter Zahlung wegen der gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zunächst in der Schwebe bleibt. Die erfolgreiche Anfechtung und Rückgewähr nach § 143 InsO bewirkt also gemäß § 144 InsO, dass die Steuerschuld rückwirkend wieder auflebt. Die Beendigung des Steuerschuldverhältnisses ist insoweit auflösend bedingt.

Damit wird deutlich, dass der Rechtsgrund einer anfechtbaren Leistung von der Insolvenzanfechtung unberührt bleibt. Bei den Ansprüchen, die nach § 144 InsO wieder entstehen, handelt es sich folglich um die ursprünglichen Zahlungsansprüche. Dabei gilt die Rechtsfolge, dass mit der Rückgewähr einer anfechtbaren Leistung durch den Empfänger dessen Forderung gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder auflebt, dem BGH zufolge auch in anfechtungsrechtlichen Drei-Personen-Verhältnissen; dass in diesem Fall der Schuldner der wieder auflebenden Forderung nicht mit dem Insolvenzschuldner identisch ist, ist unerheblich.

Dass der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 InsO kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. des § 37 AO ist, über den durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 2 AO entschieden werden kann, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch, steht dem zu § 144 Abs. 1 InsO gefundenen Ergebnis schon deshalb nicht entgegen, weil § 143 Abs. 1 InsO ‑‑anders als § 144 Abs. 1 InsO‑‑ keinen früheren Anspruch wieder aufleben lässt.

Vor diesem Hintergrund ist eine Streitigkeit darüber, ob eine zunächst erloschene Steuerschuld gemäß § 144 Abs. 1 InsO rückwirkend wieder auflebt, ob also der auflösend bedingte Grund für die Beendigung des Steuerschuldverhältnisses weggefallen ist, eine Streitigkeit über die Verwirklichung eines Steueranspruchs i.S. von § 218 Abs. 2 AO. Über diese Streitigkeit ist daher durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn der Schuldner der wieder auflebenden Forderung nicht mit dem Insolvenzschuldner identisch ist, also in anfechtungsrechtlichen Drei-Personen-Verhältnissen. Somit war das FA im Streitfall berechtigt, einen Abrechnungsbescheid über nach § 144 Abs. 1 InsO wieder aufgelebte Forderungen zu erlassen.

Allerdings hat das FG ‑‑aus seiner Sicht zu Recht‑‑ keine Feststellungen zur Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheids im Einzelnen getroffen. Im zweiten Rechtsgang wird das FG seiner Entscheidung folgende Rechtsgrundsätze zugrunde zu legen haben (§ 126 Abs. 5 FGO). Denn ob es sich im Streitfall bei den Zahlungen zur Begleichung der Umsatzsteuerschulden aus den Voranmeldungszeiträumen Januar bis Juni 2009 um anfechtbare Leistungen handelt, hatte das FG offengelassen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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