22.02.2012

Zum Abzug von Beiträgen zur Krankenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung

Die durch das BVerfG mit Wirkung bis Ende 2009 ausgesprochene Anordnung der Weitergeltung der für mit dem GG unvereinbar erklärten Regelungen über die Abziehbarkeit von Beiträgen zur Krankenversicherung ist weder verfassungswidrig noch liegt darin ein Verstoß gegen die EMRK. Außerdem besteht kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung einkommensteuerlich in voller Höhe oder zumindest im Wege eines negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.

BFH 16.11.2011, X R 15/09
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 1993 bis 1999 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Sie erzielten im Wesentlichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In den von ihnen geleisteten Vorsorgeaufwendungen waren Beiträge zur Krankenversicherung und an die seinerzeitige Bundesanstalt für Arbeit enthalten. Das Finanzamt berücksichtigte die Vorsorgeaufwendungen in den Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre jeweils mit dem gesetzlichen Höchstbetrag (7.830 DM jährlich).

Die Kläger waren der Auffassung, der Höchstbetrag sei verfassungswidrig. Außerdem seien die Beiträge zur Krankenversicherung und an die Bundesanstalt für Arbeit in voller Höhe als Sonderausgaben abzuziehen, hilfsweise, die Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit im Wege des negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.

Das FG wies die Klage ab. Im Revisionsverfahren begehrten die Kläger vorrangig ein Ruhen oder Aussetzen des Verfahrens bis zum Ergehen von Entscheidungen des BVerfG bzw. des EGMR. Die Revision blieb vor dem BFH erfolglos.

Die Gründe:
Die durch das BVerfG (Beschl. v. 13.2.2008, 2 BvL 1/06) mit Wirkung bis zum 31.12.2009 ausgesprochene Anordnung der Weitergeltung der für mit dem GG unvereinbar erklärten Regelungen über die Abziehbarkeit von Beiträgen zur Krankenversicherung ist nicht verfassungswidrig. Sie ist für den Senat bindend, weil sie mit Gesetzeskraft versehen ist.

Die Weitergeltungsanordnung verstößt auch nicht gegen Vorschriften der EMRK. Art. 14 EMRK dient in seiner Gesamtausrichtung erkennbar dem Minderheitenschutz. Die Frage der einkommensteuerrechtlichen Abziehbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen betrifft jedoch nicht lediglich eine Minderheit, sondern nahezu die Gesamtheit aller Steuerpflichtigen. Außerdem knüpft das EStG nicht an das Vermögen, sondern an das Einkommen an. Der bisherigen EGMR-Rechtsprechung ist jedoch nicht zu entnehmen, dass der Gerichtshof nationale gesetzliche Regelungen über die Einkommensteuer als Diskriminierung aufgrund des Vermögens ansehen könnte.

Auch hinsichtlich der Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit (heute: Beiträge zu Versicherungen gegen Arbeitslosigkeit) war kein Sonderausgabenabzug in voller Höhe verfassungsrechtlich geboten. Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung zur Verfassungswidrigkeit der im Jahr 1997 geltenden Regelungen zur Abziehbarkeit von Beiträgen zu privaten Kranken- und Pflegeversicherungen "streng auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau als eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene" abgestellt. Es hatte eine verfassungsrechtliche Pflicht, unter dem Gesichtspunkt der "Zwangsläufigkeit" Ausgaben bis zur Höhe der Pflichtsozialversicherungsbeiträge zum Abzug von der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage zuzulassen, ausdrücklich verneint.

Die Kläger hatten auch keinen verfassungsrechtlichen Anspruch darauf, dass ihre Beiträge an die Bundesanstalt für Arbeit im Wege des negativen Progressionsvorbehalts zu einer zusätzlichen einkommensteuerlichen Entlastung führten. Anders als das FG offenbar meinte, kennt das Einkommensteuerrecht nämlich einen negativen Progressionsvorbehalt.

Letztlich kam auch kein Ruhen oder Aussetzen des Verfahrens in analoger Anwendung des § 74 FGO im Hinblick auf die von den Klägern angeführten Verfahren vor dem BVerfG und dem EGMR in Betracht. Diese Verfahren betreffen lediglich Teilaspekte des vorliegend zu beurteilenden Streitstoffs. Allein der Umstand, dass gegen bestimmte Entscheidungen des Senats Verfassungsbeschwerden eingelegt wurden, begründet noch kein überwiegendes Interesse anderer Rechtsmittelführer an der Aussetzung. Der EGMR kann im Fall einer Verletzung der EMRK dem Beschwerdeführer außerdem nur im Einzelfall eine "gerechte Entschädigung" zusprechen. Eine Verwerfung von Normen des nationalen Rechts mit Wirkung für und gegen alle ist ihm nicht möglich.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BFH online
Zurück