09.05.2011

Zum Beginn der Festsetzungsfrist bei Antragsveranlagungen

Auch für Antragsveranlagungen gilt die dreijährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO, und damit im Ergebnis eine siebenjährige Festsetzungsfrist. Andernfalls käme es zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen, die verpflichtet sind, eine Steuererklärung abzugeben, und solchen, die nur auf ihren Antrag hin veranlagt werden.

FG Baden-Württemberg 28.2.2011, 10 K 3092/08
Der Sachverhalt:
Die Klägerin bezog im Streitjahr ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Im Januar 2008 reichte sie die Einkommensteuererklärung für das Jahr 2003 ein. Das Finanzamt teilte ihr daraufhin mit, dass die zweijährige Antragsfrist für die Veranlagung abgelaufen sei und forderte die Klägerin auf, ggf. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzutragen und glaubhaft zu machen.

Der daraufhin gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung wurde damit begründet, dass die Klägerin die Ausschlussfrist für Antragsveranlagungen nicht gekannt habe. Sie sei in den Vorjahren immer zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert worden und habe daher keinen Anlass gesehen, sich über den Lauf von Fristen, die das Finanzamt nicht erwähnt habe, zu informieren.

Das Finanzamt lehnte die Veranlagung für das Jahr 2003 mit Bescheid von März 2008 ab. Die Regelung der Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO), nach der die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach der Steuerentstehung beginnt, war nach Ansicht des Finanzamts nicht auf Antragsveranlagungen anzuwenden.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die zugelassene Revision wird beim BFH unter dem Az.: VI R 16/11 geführt.

Die Gründe:
Die Festsetzungsfrist für Antragsveranlagungen 2003 endet erst am 31.12.2010; das Finanzamt ist daher verpflichtet, die im Jahr 2008 eingereichte Steuererklärung noch zu veranlagen.

Die Vorschrift des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass auch für Antragsveranlagungen die vierjährige Festsetzungsfrist erst nach Ablauf von drei Jahren zu laufen beginnt, wenn nicht schon vorher eine Steuererklärung abgegeben wurde. Andernfalls käme es zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen, die verpflichtet sind, eine Steuererklärung abzugeben, und solchen, die nur auf ihren Antrag hin veranlagt werden.

Sowohl pflicht- als auch antragsveranlagte Steuerpflichtige befinden sich im Hinblick auf die Frage, innerhalb welcher Frist eine Veranlagung durch die Finanzverwaltung durchzuführen ist, in einer vergleichbaren Lage. Zwar bestehen bei einer Veranlagung von Amts wegen einerseits und einer Antragsveranlagung gem. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG andererseits Unterschiede, insbes. hinsichtlich der sanktionierten Verpflichtung aus § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 EStDV, eine Steuererklärung abzugeben.

Den Tatbeständen des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 7 EStG, nach dem Bezieher von Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit von Amts wegen zur Einkommensteuer veranlagt werden, liegt die Vorstellung des Gesetzgebers zu Grunde, die bei diesen Steuerpflichtigen einbehaltenen Steuerabzugsbeträge könnten möglicherweise nicht ausreichen, um die tatsächlich entstandene Steuerschuld zu decken. Eine verlängerte Festsetzungsfrist liegt dann im Interesse des Fiskus, um durch die länger mögliche Veranlagung das Steueraufkommen zu sichern. Andererseits sind die nur auf Antrag zu veranlagenden Steuerpflichtigen selbst daran interessiert, eine Einkommensteuererklärung abzugeben, um eine Steuererstattung zu erhalten.

Trotz dieser Unterschiede zwischen den Vergleichsgruppen liegen aber hinsichtlich der zeitlichen Grenze für die Durchführung einer Veranlagung vergleichbare Sachverhalte vor, denn für beide geht es jeweils darum, innerhalb welcher Frist sie die Festsetzung der materiell richtigen Einkommensteuer durch eine Veranlagung erreichen können, damit die Gleichheit zwischen allen Steuerpflichtigen hergestellt werden kann. Der Steuerpflichtige, der Einkommensteuer-Vorauszahlungen geleistet hat, befindet sich in diesem Bezug in keiner anderen Lage als der Arbeitnehmer, der dem Steuerabzug unterliegt. Eine unterschiedliche Behandlung beider Gruppen ist insoweit nicht gerechtfertigt.

Hintergrund:
Im Gegensatz zu dieser Entscheidung hat der 4. Senat des FG Baden-Württemberg letztes Jahr mit Urteil vom 4.5.2010 (Az.: 4 K 478/10) eine entsprechende Klage auf Durchführung einer Antragsveranlagung mit der Begründung abgewiesen, die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO greife bei Antragsveranlagungen nicht. Nach Ansicht des 4. Senats gilt hier nur eine vierjährige Festsetzungsfrist mit der Folge, dass Antragsveranlagungen für 2003 nach dem 31.12.2007 festsetzungsverjährt sind und danach vom Finanzamt nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Es gebe hinreichende sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Pflicht- und Antragsveranlagung, die keine verfassungskonforme Auslegung erlaubten.

Auch der 4. Senat hat in seinem abweisenden Urteil die Revision zugelassen. Die beim Bundesfinanzhof eingelegte Revision wird dort unter dem Az.: VI R 53/10 geführt.

Linkhinweis:

 
FG Baden-Württemberg PM vom 20.4.2011
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