04.04.2014

Zum Kindergeldanspruch bei deutschem Zweitwohnsitz

Deutsche Staatsangehörige, die mit ihren Familien den Lebensmittelpunkt in Tschechien teilen und dort sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, haben Anspruch auf deutsches (Differenz-)Kindergeld, wenn sie in Deutschland einen Zweitwohnsitz beibehalten. Die Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 entfalten aufgrund des EuGH-Urteils vom 12.6.2012 (C-611/10 u. C-612/10 - Hudzinski und Wawrzyniak) keine Sperrwirkung mehr für die Anwendung des Rechts des nicht zuständigen Mitgliedstaats.

BFH 18.12.2013, III R 44/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und Vater zweier minderjähriger Töchter. Er wohnt seit 1977 mit seiner Familie in einer Einliegerwohnung im Haus seiner Eltern in Rheinland-Pfalz. Die Wohnung verfügt über einen Wohnraum, ein Schlafzimmer, ein Duschbad, Kochnische, zwei Kinderzimmer im Dachgeschoss sowie weiteren zu Wohnraum ausgebauten Speicherraum.

Nachdem der Kläger im Herbst 2005 arbeitslos geworden war, trat er im Juni 2006 eine Beschäftigung in Prag an. Seine Ehefrau wohnt dort mit beiden Kindern und die ältere Tochter besucht die deutsche Schule. Der Kläger verbringt jedoch weiterhin seine gesamte freie Zeit mit der Familie in seiner Wohnung in Deutschland, u.a. auch während der Schulferien. Die Nutzung der dortigen Wohnung geht nach den Feststellungen des FG über eine übliche Nutzung als Ferienquartier deutlich hinaus.

Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung für die ältere Tochter ab Juli 2006 nach § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte den überzahlten Betrag für die Monate Juli 2006 bis September 2008 i.H.v. 4.158 € zurück. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Die Anwendbarkeit der §§ 62 ff. EStG wird im vorliegenden Fall nicht durch Gemeinschaftsrecht ausgeschlossen.

Da das FG lediglich die Beschäftigung des Klägers in Prag, nicht aber seinen Versicherungsstatus festgestellt hatte, konnte der Senat nicht sicher beurteilen, ob der Kläger persönlich vom Geltungsbereich der VO Nr. 1408/71 erfasst wird. Wenn er - was aufgrund seiner Beschäftigung in Prag nahe liegt - gem. Art. 13 Abs. 2a der VO Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften Tschechiens unterliegen sollte und Deutschland der für die Gewährung der Familienleistungen unzuständige Mitgliedstaat wäre, stünde dies dem sich aus § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG ergebenden Kindergeldanspruch nicht entgegen.

Die Art. 13 ff. der VO Nr. 1408/71 entfalten keine Sperrwirkung für die Anwendung des Rechts des nicht zuständigen Mitgliedstaats, so dass sich die Anspruchsberechtigung auch bei Personen und bei Leistungen, die dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der VO Nr. 1408/71 unterliegen, allein nach den Bestimmungen des deutschen Rechts richtet. Die gegenteilige Auffassung, die dem FG-Urteil zugrunde lag und die auch der Senat in ständiger Rechtsprechung vertreten hatte, wurde aufgrund des EuGH-Urteils vom 12.6.2012 (C-611/10 u. C-612/10 - Hudzinski und Wawrzyniak) vom BFH aufgegeben.

Allerdings war die Sache nicht entscheidungsreif, da der Senat nicht entscheiden konnte, ob der Kindergeldanspruch des Klägers wegen eines vergleichbaren Anspruchs in Tschechien zu kürzen ist. Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger von der gemeinschaftsrechtlich verbürgten Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht hat. Deshalb wäre § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG gemeinschaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass nur eine Kürzung, nicht aber eine vollständige Versagung des Kindergeldanspruchs in Betracht kommt, wenn anderenfalls das Freizügigkeitsrecht der Wanderarbeitnehmer beeinträchtigt wäre. Für die Kürzung des Kindergeldes genügt es nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG, dass der nach deutschem Recht kindergeldberechtigten Person oder einem Dritten für das betreffende Kind nach ausländischem Recht ein materiell-rechtlicher Anspruch auf die entsprechende Leistung zusteht.

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