16.06.2011

Zum Kindergeldanspruch für ein behindertes Kind bei Regress des Sozialleistungsträgers gegenüber den Eltern

Der zur Bestreitung des Lebensunterhaltes erforderliche Betrag setzt sich aus dem sog. Grundbedarf und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen. Erhält das Kind Leistungen in mindestens dieser Höhe von einem Sozialleistungsträger, so ist es imstande, sich selbst zu unterhalten, mit der Folge, dass den Eltern des Kindes kein Kindergeld gezahlt wird. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Sozialleistungsträger sich einen Teil der Leistungen an das Kind von dessen Eltern erstatten lässt.

FG Berlin-Brandenburg 14.2.2011, 4 K 4137/09
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist Mutter der 1982 geborenen D und zu deren Betreuerin mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsvorsorge, Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden bestellt worden. D hat einen Grad der Behinderung von 80 Prozent mit den Merkzeichen "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung ist nachgewiesen) und "aG" (außergewöhnlich gehbehindert). Mit Bescheid von 2006 gewährte die beklagte Familienkasse der Klägerin laufend Kindergeld ab August 2006 i.H.v. 154 € mtl.

2007 gab die Klägerin gegenüber der Familienkasse an, D sei ledig, lebe in einem eigenen Haushalt und beziehe Hilfe zum Lebensunterhalt. Beigefügt war ein Bescheid des Bezirksamtes über die Hilfe zum Lebensunterhalt nach SGB XII für D, wonach vom Rententräger eine Erwerbsunfähigkeit auf Zeit - bis 2009 - bestätigt worden sei, wodurch in Verbindung mit der Gehbehinderung ein Mehrbedarf bewilligt werden könne. Anlage des Bescheides war eine Bedarfsberechnung für Februar 2007, wonach D einen mtl. Bedarf an Hilfe zum Lebensunterhalt i.H.v. 1.037 € und an Hilfe zur Pflege nach Kapitel 5-9 SGB XII i.H.v. 9 € bei einem Einkommenseinsatz von 0 € hatte.

Der - frühere - Bescheid von 2006 wurde mit Wirkung ab 1.1.2007 widerrufen. Mit Bescheid von Februar 2008 lehnte die Familienkasse den Kindergeldantrag von 2007 ab Januar 2008 ab, weil D durch eigene Einkünfte und Bezüge imstande sei, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Im Februar 2008 hörte die Beklagte die Klägerin des weiteren dazu an, dass sie für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2007 Kindergeld i.H.v. 1.848 € erhalten habe, obwohl die Bezüge von D im Jahr 2007 deren Bedarf überstiegen hätten. Sie hob daraufhin die Festsetzung des Kindergeldes für D ab Januar 2007 auf, weil diese aufgrund der eigenen Einkünfte und Bezüge im Stande sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Das überzahlte Kindergeld für den Zeitraum von Januar bis Dezember 2007 sei zu erstatten.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage teilweise statt. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Der Bescheid von 2008 ist rechtswidrig und verletzt die Rechte der Klägerin, soweit die Kindergeldfestsetzung für die Monate Januar bis Juli 2007 aufgehoben und das insoweit gezahlte Kindergeld i.H.v. 1.078 € zurückgefordert worden ist. Im Übrigen sind die Bescheide rechtmäßig.

Für volljährige behinderte Kinder besteht ein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind aufgrund seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Das ist der Fall, wenn die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes zur Bestreitung seines Lebensunterhalts nicht ausreichen. Der BFH geht davon aus, dass sich der zur Bestreitung des Lebensunterhaltes erforderliche Betrag aus dem sog. Grundbedarf, den das Gesetz für nicht behinderte Kinder mit € 7.680 pro Jahr beziffert, und dem behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammensetzt. Erhält das Kind Leistungen in mindestens dieser Höhe von einem Sozialleistungsträger, so ist es imstande, sich selbst zu unterhalten, mit der Folge, dass den Eltern des Kindes kein Kindergeld gezahlt wird.

Dies gilt allerdings nicht, wenn der Sozialleistungsträger sich einen Teil der Leistungen an das Kind von dessen Eltern erstatten lässt (sog. Überleitung). Die Zahlung von Kindergeld soll dem Umstand Rechnung tragen, dass die Eltern, deren Kind nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten, mit Unterhaltsverpflichtungen belastet sind. Die Unterhaltsleistungen der Eltern an das Kind können demzufolge bei der Prüfung, ob ein Kind imstande ist, sich selbst zu unterhalten, nicht auf der Einnahmenseite angesetzt werden. Denn gerade diese Leistungen der Eltern sollen ja durch die Kindergeldzahlung ausgeglichen werden.

Nicht anders ist der Fall zu beurteilen, dass die Eltern den Unterhalt nicht unmittelbar an das Kind zahlen, sondern mittelbar über die Inanspruchnahme durch den Sozialleistungsträger zum Unterhalt des Kindes beitragen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Eltern die von dem Sozialleistungsträger geforderten Erstattungsbeträge bei Fälligkeit auch tatsächlich zahlen. Zahlen sie auf Aufforderung des Sozialleistungsträgers nicht, so kommen sie auch bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht teilweise für den Unterhalt des Kindes auf, so dass ein Anspruch auf Kindergeld nicht besteht.

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Familienkasse einen Kindergeldanspruch für die Monate Januar bis Juli 2007 zu Unrecht verneint. Hinsichtlich der verbleibenden Monate August bis Dezember 2007 war D dagegen zum Selbstunterhalt imstande, weil die Klägerin für diese Monate tatsächlich nicht zu einer Unterhaltszahlung herangezogen worden ist. Das Kind hat damit seinen Unterhalt vollständig aus der Leistung der Sozialhilfe bestreiten können, ohne dass die Eltern tatsächlich mit Unterhaltsleistungen belastet waren.

Linkhinweis:

FG Berlin-Brandenburg PM Nr. 8 vom 9.6.2011
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