18.04.2024

Zum Nachweis der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit i.S.d. § 8 Abs. 2 AStG

Eine Gesellschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedsstaat der EU hat, ist nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die nachgewiesen wurde, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht. Hinsichtlich der - im Gesetz nicht definierten - Anforderungen an eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit sind nach Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/6290, S. 92) in Anlehnung an die Ausführungen des EuGH in der Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes) gewisse Kriterien relevant.

FG Münster v. 6.2.2024, 2 K 842/19 F
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft, die in den Streitjahren (2011 bis 2017) 99,995 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft nach belgischem Recht mit Sitz in Belgien (nachfolgend NV) hielt. Nach Gründung im Jahr 1982 hatte die NV als Holding- und Managementgesellschaft ihrer Unternehmensgruppe agiert und hierzu sowohl ausländische als auch inländische Unternehmensbeteiligungen gehalten. Die Geschäftstätigkeit der NV erfasste die Vergabe von Darlehen an die operativen Gesellschafter ihrer Unternehmensgruppe und Dritte, die Desinvestition von Beteiligungen zur Förderung des Unternehmenszwecks der Unternehmensgruppe sowie den Ankauf von Beteiligungen.

Für die Ausübung ihrer Geschäftstätigkeiten in Belgien hatte die NV einen Raum von ca. 15-20 qm Größe angemietet, besaß eigene Telefon- und Faxanschlüsse sowie E-Mailadressen und Büroausstattung. Die Geschäfte der NV wurden durch vier Verwaltungsratsmitglieder - einen belgischen und drei deutsche - geführt. In den Streitjahren erzielte die NV Zinserträge, Erträge aus der Erbringung von Beratungsleistungen sowie Erträge aus Finanzanlagen. Aufgrund von Besonderheiten des belgischen Steuerrechts wurde gegenüber der NV in den Streitjahren keine Ertragsteuer festgesetzt.

Das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung kam im Rahmen einer Auftragsprüfung zu dem Ergebnis, dass die von der NV erzielten Zinserträge von der Klägerin als Zwischeneinkünfte im Wege der Hinzurechnungsbesteuerung zu versteuern seien. Die Klägerin war hingegen der Auffassung, dass kein Hinzurechnungsbesteuerungsfall vorläge.

Das FG gab der Klage vollumfänglich statt. Allerdings ist eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BFH unter dem Az. IX B 35/24 anhängig.

Die Gründe:
Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für eine Hinzurechnungsbesteuerung nicht vor. Die NV war nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte.

Zwar waren die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AStG erfüllt. Die NV hate Einkünfte erzielt, die in Belgien einer niedrigen Besteuerung unterlagen. Zudem stammten die Einkünfte nicht aus einer in § 8 Abs. 1 AStG genannten (aktiven) (Ausschluss-)Tätigkeit. Für die Prüfung der Ausschlusstatbestände des § 8 Abs. 1 AStG war bei funktionaler Betrachtungsweise von einer einheitlich zu beurteilenden (Holding-)Tätigkeit der NV auszugehen, da zwischen den verschiedenen Tätigkeiten der NV ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang bestanden hatte. Diese Holdingtätigkeit war nicht von den abschließend aufgezählten (aktiven) Tätigkeiten i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1-9 AStG erfasst. Doch auch bei einer Segmentierung der Tätigkeiten der NV in eine Holding-, Kreditvergabe-, Beratungs- und Veräußerungstätigkeit waren die Ausschlusstatbestände des § 8 Abs. 1 Nr. 5, 7 und 9 AStG im Hinblick auf die streitigen Zinserträge nicht erfüllt.

Der Klägerin war jedoch der Nachweis gem. § 8 Abs. 2 AStG gelungen. Danach ist eine Gesellschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedsstaat der EU hat, nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die nachgewiesen wurde, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht. Hinsichtlich der - im Gesetz nicht definierten - Anforderungen an eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit sind nach Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/6290, S. 92) in Anlehnung an die Ausführungen des EuGH in der Rs. C-196/04 (Cadbury Schweppes) die folgenden Kriterien relevant: eine stabile und kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedsstaates, eine tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in dem anderen Mitgliedsstaat auf unbestimmte Zeit und die Feststellung dieser Voraussetzungen anhand objektiver, von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte. Dabei kann die Teilnahme am Wirtschaftsleben auch gegenüber einem verbundenen Unternehmen erfolgen.

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einzelfalls hatte die NV in den Streitjahren aktiv, ständig und nachhaltig im Rahmen ihrer Eigenschaft als Holding- und Managementgesellschaft am Wirtschaftsleben in Belgien teilgenommen, über entsprechend qualifiziertes Personal und geeignete Geschäftsräume und damit über genügend wirtschaftliche "Substanz" verfügt und ihre Einkünfte aus eigener (Holding-)Tätigkeit erzielt. Die NV musste nicht (auch) an dem Absatzmarkt in Belgien teilnehmen. Der Leistungsaustausch zwischen der ausländischen Gesellschaft und dem Markt ihres Aufnahmemitgliedsstaates ist nicht auf den dortigen Absatzmarkt beschränkt. Vielmehr genügt es, wenn sich die ausländische Gesellschaft lediglich an den Beschaffungsmarkt wendet, etwa - wie bei der NV - durch Anmietung der festen Geschäftseinrichtung. Dies folgt bereits aus dem Sinn und Zweck der Niederlassungsfreiheit. Für den Senat war auch nicht ersichtlich, dass es sich bei der Tätigkeit der NV um eine rein künstliche Briefkasten- bzw. rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung handelte. Zwar hatte sich der Umfang der Tätigkeiten über die Jahre geändert, der Inhalt der Tätigkeit ist seit Gründung der NV jedoch vergleichbar geblieben.

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