07.01.2022

Zum Verbrauch der antragsgebundenen Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG

1. Die antragsgebundene Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG, die der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen kann, ist auch dann verbraucht, wenn das FA die Vergünstigung zu Unrecht gewährt hat. Dies gilt selbst dann, wenn dies ohne Antrag des Steuerpflichtigen geschieht und ein Betrag begünstigt besteuert wird, bei dem es sich tatsächlich nicht um einen Veräußerungsgewinn i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG handelt.
2. Etwas anderes gilt nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann, wenn die rechtsirrige Gewährung der Vergünstigung in dem früheren Bescheid für den Steuerpflichtigen angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und wegen des Fehlens eines Hinweises des FA nicht erkennbar war.

Kurzbesprechung
BFH v. 28.9.2021 - VIII R 2/19

EStG § 34 Abs 2 Nr. 1, § 34 Abs 3 S 4, § 24 Nr. 1, § 24 Nr. 3

Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 EStG werden gemäß § 34 Abs. 1 EStG ermäßigt besteuert. Alternativ hierzu gewährt § 34 Abs. 3 EStG für Veräußerungsgewinne i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG auf Antrag eine Steuersatzermäßigung, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder wenn er im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist (vgl. § 34 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 EStG). Diese Ermäßigung kann der Steuerpflichtige nur einmal im Leben in Anspruch nehmen (§ 34 Abs. 3 Satz 4 EStG).

Im Streitfall stand der Gewährung der Ermäßigung § 34 Abs. 3 Satz 4 EStG entgegen, da der Steuerpflichtige diese bereits einmal im Jahr 2006 in Anspruch genommen und damit "verbraucht" hatte. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine antragsgebundene Steuervergünstigung, die dem Steuerpflichtigen nur einmal gewährt werden kann, für die Zukunft auch dann "verbraucht", wenn die Vergünstigung vom FA zu Unrecht gewährt worden ist, insbesondere ein erforderlicher Antrag vom Steuerpflichtigen nicht gestellt wurde. Entscheidend ist allein, dass sich die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Wenn der Steuerpflichtige sich die Möglichkeit vorbehalten will, die Vergünstigung in einem späteren Jahr in Anspruch zu nehmen, muss er die Steuerfestsetzung anfechten, in der ihm die Vergünstigung zu Unrecht gewährt worden ist. Der Steuerpflichtige braucht sich die rechtswidrige Gewährung der Vergünstigung in einem Vorjahr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nur dann nicht entgegenhalten zu lassen, wenn für ihn angesichts der geringen Höhe der Vergünstigung und des Fehlens eines Hinweises im Bescheid nicht erkennbar gewesen ist, dass das FA die Vergünstigung ohne den erforderlichen Antrag gewährt hat.

Die Rechtsprechung des BFH differenziert weder danach, ob oder aus welchen Gründen die Vergünstigung zu Unrecht gewährt wurde, noch geht sie davon aus, dass für eine "Inanspruchnahme" der Ermäßigung ein entsprechender Antrag des Steuerpflichtigen erforderlich ist. Sie nimmt einen Verbrauch der Vergünstigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG daher auch dann an, wenn kein begünstigungsfähiger Veräußerungsgewinn vorgelegen hat und kein Antrag auf Gewährung der Vergünstigung gestellt wurde. Maßgeblich für den Verbrauch der Vergünstigung ist allein, dass der Steuerpflichtige den ihn begünstigenden Irrtum des FA erkennt und billigt.

§ 176 AO, der das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Bestandskraft von Steuerbescheiden, die auf einer ihm günstigen Gesetzgebung, Rechtsprechung oder Verwaltungsvorschrift beruhen, schützt, kam nicht zur Anwendung, da es an der von § 176 AO vorausgesetzten Änderung eines Steuerbescheides fehlte.

Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 176 AO bestand kein Anspruch der Steuerpflichtigen auf Vertrauensschutz. Ein solcher kommt zwar insbesondere in Betracht, wenn sich die Rechtsprechung des BFH verschärft und der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die bisherige Rechtslage Dispositionen getroffen hat. Ein derart schutzwürdiges Vertrauen der Steuerpflichtigen lag im Streitfall jedoch nicht vor.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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