23.05.2013

Zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bei ressortfremden Grundlagenbescheiden

Bei Anwendung von § 171 Abs. 10 AO ist danach zu differenzieren, ob es sich bei dem die Ablaufhemmung bewirkenden Grundlagenbescheid um einen Feststellungsbescheid oder um einen anderen Grundlagenbescheid einer aus Sicht der AO ressortfremden Behörde handelt. Letztere bewirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur, wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die betroffene Steuer erlassen wurden.

BFH 21.2.2013, V R 27/11
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betrieb eine Ballettschule. Sie hatte in den Streitjahren 1972 bis 1992 ihre Umsätze dem Regelsteuersatz unterworfen. Die Umsatzsteuerbescheide wurden bestandskräftig. Die Bezirksregierung bestätigte ihr im September 2004, dass die Ballettschule in der Zeit zwischen 1971 bis 1995 als Privatschule ordnungsgemäß auf einen Beruf als Ballettlehrer, Balletttänzer oder Musicaldarsteller vorbereite. Außerdem erteilte das Ministerium für Wissenschaft und Kultur ihr im Januar 2008 eine Bescheinigung mit Wirkung ab 1973, wonach die Theater- und Schulaufführungen der Ballettschule die gleichen kulturellen Aufgaben wie die in § 4 Nr. 20a UStG bezeichneten "öffentlichen Einrichtungen" erfüllten. Die Klägerin beantragte daraufhin im September 2006 und Februar 2008 die Änderung ihrer Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992.

Das Finanzamt lehnte die Anträge der Klägerin, die bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1992 entsprechend den Bescheinigungen zu ändern und die Umsätze steuerfrei zu belassen, ab. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision des Finanzamtes hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Der Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheide für Umsatzsteuer 1972 bis 1976 stand entgegen, dass die Bescheinigungen erst im Januar 2008 bzw. September 2004 und damit nach Ablauf der nach der RAO zu bestimmenden Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer diesen Streitjahren erteilt worden waren.

Nach ständiger BFH-Rechtsprechung richtet sich die Korrekturbefugnis von Steuerbescheiden zwar ab dem 1.1.1977 grundsätzlich nach der AO. Die Verjährung bestimmt sich dagegen u.a. für die Festsetzung von Steuern wie für die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach der RAO. Für eine Berichtigung nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO gelten keine Besonderheiten. Für die Umsatzsteuer betrug die Verjährungsfrist somit nach § 144 RAO fünf Jahre. Sie begann nach § 144 RAO spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung der Steuer folgte und war für die Streitjahre 1972 bis 1976 bereits abgelaufen.

Für die Streitjahre unter Geltung der AO (1977) - 1977 bis einschließlich 1992 - war nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO (bis 31.12.1981: § 175 S. 1 Nr. 1 AO) ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Nach der Legaldefinition in § 171 Abs. 10 AO sind Grundlagenbescheide die Bescheide, die für die Festsetzung einer Steuer als Feststellungsbescheid, als Steuermessbescheid oder als anderer Verwaltungsakt bindend sind.

Entgegen der Auffassung des FG stand der Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1977 bis 1992 aufgrund der Bescheinigungen aus September 2004 und Januar 2008 nach § 175 Abs. 1 AO entgegen, dass die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer für 1977 bis 1992 bei Erlass der Grundlagenbescheide der ressortfremden Behörde bereits abgelaufen war. Denn bei Anwendung von § 171 Abs. 10 AO ist danach zu differenzieren, ob es sich bei dem die Ablaufhemmung bewirkenden Grundlagenbescheid um einen Feststellungsbescheid - i.S.d. §§ 179 ff. AO einem Grundlagenbescheid einer Finanzbehörde - oder um einen anderen Grundlagenbescheid einer aus Sicht der AO ressortfremden Behörde handelt.

Die im Anwendungsbereich des § 171 Abs. 10 AO bei sog. ressortfremden Grundlagenbescheiden bestehende Regelungslücke ist dadurch zu schließen, dass derartige Grundlagenbescheide ebenso wie die in § 171 Abs. 3, 4 bis 6, 9 u. 13 AO ausdrücklich geregelten Sachverhalte nur dann eine Ablaufhemmung begründen, wenn die Bekanntgabe dieser Grundlagenbescheide noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist für die Steuer, für die der Grundlagenbescheid bindend ist, erfolgt. Damit trägt der Senat den vom BVerwG (Urt. v. 11.10.2006, Az.: 10 C 4/06) und im Schrifttum geäußerten Bedenken gegen eine zeitlich unbegrenzte Ablaufhemmung bei ressortfremden Grundlagenbescheiden Rechnung.

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