11.03.2016

Zur Ablaufhemmung nach Erstattung einer Selbstanzeige und zur verjährungshemmenden Wirkung einer Fahndungsprüfung

Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch die Steuerfahndung nach § 171 Abs. 5 S. 1 AO ist, dass für den Steuerpflichtigen klar und eindeutig erkennbar ist, in welchen konkreten Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Unzureichende oder widersprüchliche Sachverhaltsdarstellungen im angefochtenen Urteil stellen einen materiell-rechtlichen Fehler dar, der auch ohne diesbezügliche Rüge zum Wegfall der Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO führt.

BFH 17.11.2015, VIII R 67/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger und die Klägerin und Beigeladene erklärten am 3.5.2010 als Gesamtrechtsnachfolger ihrer verstorbenen Mutter Einkünfte aus Kapitalvermögen für die Jahre 1998 bis 2002 nach. Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung teilte dem Kläger mit Schreiben vom 6.12.2010 unter Hinweis auf ein gegen ihn eingeleitetes steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren und seine Selbstanzeige vom 6.3.2010 mit, dass sie mit der Überprüfung seiner Selbstanzeige für die Jahre 1999 bis 2008 beauftragt worden sei und forderte ihn u.a. auf, überprüfbare Unterlagen über die nacherklärten Einkünfte seiner Mutter vorzulegen. Das Finanzamt erließ jeweils am 25.52011 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 1998 und 1999.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
Die angefochtenen Bescheide durften gem. § 169 Abs. 1 S. 1 AO nicht ergehen, da zuvor Festsetzungsverjährung eingetreten war.

Die verstorbene Mutter des Klägers hatte die Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1998 und 1999 im Jahr 2000 abgegeben. Damit fiel gem. § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO der Beginn der Festsetzungsfrist für die Streitjahre auf das Jahresende 2000. Die Festsetzungsfrist verlängerte sich aufgrund der Steuerhinterziehung gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO auf zehn Jahre und endete am 31.12.2010. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide ergingen jeweils am 25.5.2011, also nach Ablauf der regulären Festsetzungsfrist. Die Feststellungen des FG tragen nicht seine Würdigung, dass der Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 5 S. 1 AO gehemmt war. Beginnen die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen einer Landesfinanzbehörde vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, läuft die Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 5 S. 1 AO insoweit nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind.

Voraussetzung für die verjährungshemmende Wirkung der Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen ist, dass für den Steuerpflichtigen erkennbar ist, dass in seinen Steuerangelegenheiten ermittelt wird. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das FG bejaht. Es hat angenommen, dass die mit der Steuerfahndung befasste Dienststelle des Finanzamt mit Schreiben vom 6.12.2010 mit den Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen hinsichtlich der Kapitaleinkünfte der Mutter des Klägers für die Streitjahre 1998 und 1999 begonnen habe, so dass der Ablauf der Festsetzungsfrist gem. § 171 Abs. 5 S. 1 AO vor Eintritt der Festsetzungsverjährung am 31.12.2010 gehemmt gewesen sei. Für den Kläger sei dies aufgrund der Aufforderung, überprüfbare Unterlagen über die nacherklärten Einkünfte seiner Mutter vorzulegen, auch erkennbar gewesen.

Das FG hat keine den Senat bindenden Feststellungen getroffen, die seine Beurteilung tragen. Unzureichende oder widersprüchliche Sachverhaltsdarstellungen im angefochtenen Urteil stellen nach ständiger BFH-Rechtsprechung einen materiell-rechtlichen Fehler dar, der auch ohne diesbezügliche Rüge zum Wegfall der Bindungswirkung des § 118 Abs. 2 FGO führt. Das FG lässt bei seiner Würdigung außer Betracht, dass nach den Vorgaben des § 171 Abs. 5 S. 1 AO die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist nur dann eintritt, wenn für den Steuerpflichtigen klar und eindeutig erkennbar ist, in welchem konkreten Besteuerungs- bzw. Strafverfahren die Steuerfahndung ermittelt.

Dies geht aus dem Schreiben der Steuerfahndungsstelle vom 6.12.2010 nicht klar hervor, da dieses Schreiben im Betreff lediglich das steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Kläger und dessen Selbstanzeige vom 6.3.2010 nennt, obgleich von der Steuerfahndung auch die von dem Kläger als Gesamtrechtsnachfolger der verstorbenen Mutter abgegebene Nacherklärung vom 3.5.2010 überprüft werden sollte. Zwar wurde der Kläger in dem Schreiben auch aufgefordert, überprüfbare Unterlagen über die nacherklärten Einkünfte der Mutter vorzulegen. Da diesbezüglich jedoch weder auf die Nacherklärung vom 3.5.2010 Bezug genommen wurde, noch die Veranlagungszeiträume angegeben wurden, auf die sich die Ermittlungen erstrecken sollten, war es für den Kläger aufgrund der widersprüchlichen Angaben im Betreff und Einleitungssatz nicht eindeutig erkennbar, dass Gegenstand der Ermittlungen der Steuerfahndung auch die Kapitaleinkünfte der Mutter für die Jahre 1998 und 1999 sein sollten.

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