11.07.2013

Zur Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4, Abs. 3 AO: Negativer Widerstreit bei periodisch gestrecktem statt punktuellem Ansatz

Hat das Finanzamt auf Antrag des Steuerpflichtigen die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung der AfA eines vermieteten Gebäudes nachträglich um zuvor fälschlich von den Herstellungskosten abgezogene, leistungsfreie Darlehensmittel wieder erhöht und die Bescheide für die Jahre nach Auszahlung der Fördermittel entsprechend geändert, darf es die bestandskräftige Steuerfestsetzung des Zuflussjahres nach § 174 Abs. 4 AO ändern und die erhaltenen Fördermittel als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung ansetzen. § 174 Abs. 3 S. 1 AO rechtfertigt Änderungen auch bei einem negativen Widerstreit zwischen (irrtümlich vorgenommenem) periodisch gestrecktem statt punktuellem Ansatz.

BFH 16.4.2013, IX R 22/11
Der Sachverhalt:
Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr (1995) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Der Kläger war Eigentümer eines Mietwohngrundstücks mit einem im Vorjahr fertig gestellten Neubau. Die Wohnungen vermietete der Kläger ab Februar des Streitjahres an Dritte. Für den Neubau machten die Kläger einen Verlust aus Vermietung und Verpachtung geltend, wobei sie die Absetzungen für Abnutzung (AfA) - wie schon im Vorjahr - nach § 7 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 EStG a.F. mit 5 Prozent der Herstellungskosten i.H.v. rd. 31.000 DM ermittelten. Das Finanzamt setzte entsprechend Einkommensteuer fest.

Im August 1999 teilte die zuständige Kreditanstalt dem Finanzamt mit, dass der Kläger im Streitjahr für seinen Neubau leistungsfreie Baudarlehen nach dem sog. Dritten Förderungsweg i.H.v. von insgesamt 230.000 DM erhalten hatte. Mit Änderungsbescheiden von Juni 2000 minderte das Finanzamt daraufhin die AfA-Bemessungsgrundlage für den Neubau um die erhaltenen Fördermittel sowie die AfA für das Streitjahr und die Folgejahre 1996 und 1997 entsprechend auf rd. 20.000 DM. Aufgrund einer bei den Klägern durchgeführten Außenprüfung ergingen im Mai 2002 erneut Änderungsbescheide (u.a.) für die Jahre 1995 bis 1998. An den Vermietungseinkünften des Klägers im Streitjahr änderte sich dadurch nichts.

Im Einspruchsverfahren gegen diese Bescheide beantragten die Kläger im Jahr 2004, die Kürzung der AfA-Bemessungsgrundlage um die erhaltenen Fördermittel rückgängig zu machen und die AfA wieder auf 31.000 DM jährlich zu erhöhen. Den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nahmen sie zurück. Die Bescheide für die Jahre 1996 bis 1998 änderte das Finanzamt im Dezember 2006 insoweit wie beantragt. Für das Streitjahr erließ das Finanzamt am selben Tag einen Änderungsbescheid nach § 174 Abs. 4 AO, in dem es die Einnahmen aus dem vermieteten Neubau um die erhaltenen Fördermittel i.H.v. 230.000 DM und im Gegenzug die AfA auf 31.000 DM erhöhte. Der gegen diesen letzten Bescheid eingelegte Einspruch hatte teilweise Erfolg: Im Billigkeitswege stimmte das Finanzamt einer Verteilung der Fördermittel auf zehn Jahre zu und minderte die Einnahmen aus dem Neubauobjekt um (9/10 von 230.000 DM =) 207.000 DM.

Das FG wies die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr von Mai 2002 nach § 174 Abs. 4 AO ändern konnte.

Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten geändert worden ist, können nach § 174 Abs. 4 S. 1 AO aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines (weiteren) Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Das Finanzamt hat auf die Einsprüche der Kläger die Minderung der AfA in den Jahren 1996 und 1997 zurückgenommen, weil die von den Klägern vereinnahmten Mittel nach dem sog. Dritten Förderungsweg nicht die Herstellungskosten mindern. Es durfte durch die Änderung des Steuerbescheids für das Streitjahr die richtigen steuerlichen Folgen ziehen und die Mittel als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung erfassen.

Der angefochtene Änderungsbescheid konnte auch nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergehen. Der Fristablauf ist nach § 174 Abs. 4 S. 3 AO unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden. War die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies gem. § 174 Abs. 4 S. 4 i.V.m. Abs. 3 S. 1 AO nur, wenn der Sachverhalt in dem (nunmehr zu ändernden) Steuerbescheid erkennbar in der Annahme nicht berücksichtigt wurde, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen sei, und sich diese Annahme als unrichtig herausstellt. Auch diese Voraussetzungen liegen vor.

Ist der "bestimmte Sachverhalt", um den es im Streitfall geht, der Vorgang des Zuflusses der Fördermittel aufgrund des leistungsfreien Darlehens, so verlangt § 174 Abs. 3 S. 1 AO indes nicht, dass dieser Sachverhaltskomplex im geänderten Bescheid überhaupt nicht berücksichtigt sein dürfte. Der Steuerbescheid ist vielmehr auch dann zu ändern, wenn der bestimmte Sachverhalt dort erkennbar nicht abschließend geregelt wurde. Denn das Gesetz stellt dem (tatsächlich) nicht berücksichtigten Sachverhalt den in anderen Steuerbescheiden (erkennbar) zu berücksichtigenden gegenüber. Der damit formulierte negative Widerstreit umfasst auch das (irrtümlich) periodisch gestreckte Berücksichtigen in mehreren Kalenderjahren statt eines (richtigen) punktuellen Ansatzes in einem Veranlagungszeitraum und umgekehrt. Deshalb liegt in der AfA-Minderung für das Streitjahr keine abschließende Berücksichtigung desselben Sachverhalts, die einer Änderung nach § 174 Abs. 3 S. 1 AO entgegenstünde.

Vielmehr wurde der Zufluss der Fördermittel im Streitjahr erkennbar in der Annahme nicht als Einnahme aus Vermietung und Verpachtung angesetzt, dass er sich insoweit in anderen Steuerbescheiden durch Aufwandsminderung (geringere AfA) auswirke. Vertrauensschutzprobleme stellen sich nicht. Nach § 174 Abs. 3 S. 1 AO muss der bestimmte Sachverhalt "erkennbar" nicht berücksichtigt worden sein, dass er in einem anderen Steuerbescheid zu berücksichtigen ist. Damit ist dem Vertrauensschutz hinreichend genügt. Die von den Klägern gegen diese Rechtsauffassung angeführte Rechtsprechung betrifft ausschließlich Sachverhalte, bei denen nur eine punktuelle (Nicht-)Berücksichtigung in Betracht kam. Über die vorliegende Konstellation, die mit der Entscheidung zwischen periodenübergreifender und punktueller Erfassung desselben Sachverhalts zwingend zu einer betragsmäßigen Überschneidung im ersten Jahr führt, wurde bislang nicht entschieden.

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