30.10.2025

Zur Ausübung des Vorsteuerabzugs

1. Ist das Recht auf Vorsteuerabzug zu einer Zeit entstanden, in der das allgemeine Besteuerungsverfahren anzuwenden war, weil der zum Abzug berechtigte Unternehmer Ausgangsumsätze im Inland ausgeführt hat, kann er das Recht auch dann im allgemeinen Besteuerungsverfahren ausüben, wenn er die Rechnung mit Steuerausweis zu einer Zeit erhält, in der er im Inland keine Umsätze mehr ausführt.
2. Der erstmalige Ausweis von Umsatzsteuer in einer (berichtigten) Eingangsrechnung führt nicht rückwirkend (...)

Kurzbesprechung
BFH v. 25.6.2025 - XI R 17/22

UStG § 15 Abs 1 S 1 Nr 1, UStG § 16 Abs 6, UStG § 18 Abs 9, UStG § 25a
UStDV § 59 S 1
EGRL 112/2006 Art 167, EGRL 112/2006 Art 168 Buchst a, EGRL 112/2006 Art 178 Buchst a, EGRL 112/2006 Art 179 S 1


Streitig war, ob der Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Vorsteuererstattung aus der Lieferung von Gas zusteht.

Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht gemäß Art. 167 MwStSystRL, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Dies setzt das nationale Recht in der derzeit noch geltenden Fassung nicht vollständig um.

Um das Recht geltend machen zu können, ist zum einen erforderlich, dass der Betroffene Steuerpflichtiger im Sinne der Mehrwertsteuersystemrichtlinie ist, und zum anderen, dass die zur Begründung des Abzugsrechts angeführten Gegenstände oder Dienstleistungen vom Steuerpflichtigen auf einer nachfolgenden Umsatzstufe für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden und dass diese Gegenstände oder Dienstleistungen auf einer vorausgehenden Umsatzstufe von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert oder erbracht werden.

Im Streitfall hatte das FG zu Recht angenommen, dass das Recht der Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug im Jahr 2018 (im allgemeinen Besteuerungsverfahren) entstanden war. Sie hatte im Jahr 2018 in Deutschland steuerpflichtige Eingangsleistungen bezogen und im Jahr 2018 zur Ausführung steuerpflichtiger Umsätze verwendet. Die Umsatzsteuer für die Lieferung an die Steuerpflichtige war im Jahr 2018 entstanden, so dass auch das Recht auf Vorsteuerabzug entstanden war.

In Bezug auf dieses Recht konnte die Steuerpflichtige nicht auf das Vergütungsverfahren verwiesen werden. Die Vergütung der abziehbaren Vorsteuerbeträge an im Ausland ansässige Unternehmer ist nach § 59 UStDV nur dann im Vergütungsverfahren durchzuführen, wenn der Unternehmer im Vergütungszeitraum im Inland keine Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 und 5 des Gesetzes ausgeführt hat (§ 59 Nr. 1 UStDV). Dies war jedoch bei der Steuerpflichtigen in dem Zeitpunkt, in dem das Recht auf Vorsteuerabzug entstanden ist, nicht der Fall, denn sie hatte-nahezu zeitgleich-steuerpflichtige Umsätze im Inland ausgeführt.

Dem Entstehen des Rechts im Jahr 2018 stand auch nicht die fehlende Gegenseitigkeit entgegen; denn nach § 15 Abs. 4b UStG galten für Unternehmer, die‑‑wie die Steuerpflichtige‑‑nicht im Gemeinschaftsgebiet ansässig sind, die Einschränkungen des § 18 Abs. 9 Sätze 4 und 5 UStG nur dann entsprechend, wenn nur Steuer nach § 13b Abs. 5 UStG geschuldet wurde. Dies war bei der Steuerpflichtigen nicht der Fall; denn sie hatte‑‑nahezu zeitgleich‑‑ steuerpflichtige Umsätze im Inland ausgeführt, für die sie die Steuer schuldet.

Es bestand auch kein Wahlrecht, Vorsteuerbeträge im Vergütungsverfahren oder im Rahmen der Jahreserklärung nach § 18 Abs. 3 UStG geltend zu machen.

Die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug setzt aber voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt, was im Streitfall nicht gegeben war. Soweit das FG angenommen hatte, dass die vorgenommene Rechnungsberichtigung im Jahr 2019 Rückwirkung habe, folgte der BFH dieser Rechtsauffassung nicht. Die Steuerpflichtige durfte ihr Recht auf Vorsteuerabzug erst im Jahr 2019 ausüben. Denn ein Dokument ist keine berichtigungsfähige "Rechnung", wenn es so fehlerhaft ist, dass der nationalen Steuerverwaltung die erforderlichen Angaben fehlen. Im Streitfall fehlte für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug der Steuerausweis, weil die Beteiligten von der Anwendung einer Umsatzsteuerlager-Regelung ausgingen.

Die Rechnungsberichtigung hatte keine Rückwirkung, da die Steuerpflichtige keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt bekommen oder entrichtet hatte, weil der Leistende und die Steuerpflichtige übereinstimmend von der Anwendung einer Umsatzsteuerlager-Regelung ausgingen. Erst im Januar 2019 erstellte der Leistende eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis. Damit war die Klägerin erst berechtigt, ihr Vorsteuerrecht auszuüben.

Da der BFH noch nicht abschließend beurteilen konnte, ob es sich dabei um ein von vornherein vereinbartes Entgelt (§ 10 UStG) oder um eine Änderung der Bemessungsgrundlage (§ 17 UStG) handelt und auch nicht feststand, ob die Steuerpflichtige überhaupt mit Umsatzsteuer belastet ist, wies der BFH den Streitfall an die Vorinstanz zurück.
Verlag Dr. Otto Schmidt