10.01.2014

Zur Bindungswirkung einer Lohnsteueranrufungsauskunft auch gegenüber dem Arbeitnehmer

Erteilt das Betriebsstättenfinanzamt dem Arbeitgeber eine Lohnsteueranrufungsauskunft, so sind die Finanzbehörden im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens an diese auch gegenüber dem Arbeitnehmer gebunden. Das Finanzamt kann die vom Arbeitgeber aufgrund einer (unrichtigen) Anrufungsauskunft nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer insoweit vom Arbeitnehmer nicht nach § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachfordern.

BFH 17.10.2013, VI R 44/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Arbeitnehmer einer GmbH, die zunächst Mitglied der Zusatzversorgungskasse (ZVK) der Stadt "E-Stadt" war. Nach Übernahme des Vermögens der ZVK "E-Stadt" durch die ZVK "L-Stadt" wurden die Mitglieder der ZVK "E-Stadt" mit Wirkung ab dem 1.1.2001 Mitglieder der ZVK "L-Stadt". Zum Ausgleich hatte die ZVK "E-Stadt" eine Ausgleichszahlung (sog. Nachteilsausgleich) an die ZVK "L-Stadt" zu leisten. Sie behandelte die Zahlungen des Nachteilsausgleichs als erhöhte Umlage und erhob Lohnsteuer mit einem Pauschalsteuersatz gem. § 40b EStG. Soweit die Zahlungen die Pauschalierungsgrenze überstiegen, unterwarf die GmbH die entsprechenden Beträge dem Regelbesteuerungsverfahren

Der BFH entschied, dass die Nachteilsausgleichszahlungen keinen Arbeitslohn darstellten. Im Anschluss an diese Entscheidung beantragte die GmbH beim zuständigen Betriebsstättenfinanzamt "E-Stadt" eine Anrufungsauskunft nach § 42e EStG, wonach es ihr erlaubt sei, sämtliche zu Unrecht versteuerten Nachteilsausgleichszahlungen der Jahre 2002 bis 2005 im laufenden Lohnsteuerzahlungszeitraum des Jahres 2006 in Form negativer Einnahmen zu korrigieren. Diesem Antrag gab das Betriebsstättenfinanzamt am 29.6.2006 statt.

Im September 2006 widerrief das Betriebsstättenfinanzamt seine Anrufungsauskunft vom 29.6.2006. Die dagegen von der GmbH erhobene Klage war in der Revisionsinstanz erfolgreich. Der Senat hob die Aufhebungsverfügung des Betriebsstättenfinanzamts wieder auf. Im November 2008 erhielt das beklagte Wohnsitzfinanzamt des Klägers eine Kontrollmitteilung der Zentralen Außenprüfungsstelle Lohnsteuer (ZALSt), die darüber informierte, dass die GmbH als Arbeitgeber des Klägers im Lohnsteuerzahlungszeitraum September 2006 den Bruttoarbeitslohn des Klägers um rd. 4.000 € gemindert habe. Die GmbH sei unzutreffenderweise davon ausgegangen, dass in dieser Höhe negativer Arbeitslohn des Klägers vorgelegen habe. Das Finanzamt erließ daraufhin gegenüber dem Kläger einen entsprechenden Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
Der streitigen Lohnsteuernachforderung steht die dem Arbeitgeber des Klägers am 29.6.2006 im Rahmen des Lohnsteuerabzugs erteilte Anrufungsauskunft entgegen.

Nach § 42d Abs. 3 S. 4 Nr. 1 EStG kann das Finanzamt den Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer in Anspruch nehmen, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat. Nach § 38 Abs. 2 S. 1 EStG ist der Arbeitnehmer Schuldner der Lohnsteuer. Zugleich haftet der Arbeitgeber nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für nicht einbehaltene und nicht abgeführte Lohnsteuer. Soweit diese Haftung reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3 S. 1 EStG). Das Betriebsstättenfinanzamt kann die Steuerschuld oder Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen (§ 42d Abs. 3 S. 2 EStG).

Allerdings kann der Arbeitnehmer nach § 42d Abs. 3 S. 4 Nr. 1 EStG für seine Lohnsteuer als (Gesamt)Schuldner neben dem Arbeitgeber nur in bestimmten Fällen in Anspruch genommen werden, etwa wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat. An einer vorschriftswidrigen Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer fehlt es, wenn der Arbeitgeber eine Anrufungsauskunft eingeholt hat und danach verfahren ist. Überdies führt die ordnungsgemäße Abführung der auskunftsgemäß einbehaltenen Lohnsteuer zum Erlöschen des Lohnsteueranspruchs des Finanzamts (§ 47 AO). Der Arbeitnehmer kann damit nicht mehr auf Zahlung der Lohnsteuer in Anspruch genommen werden, und zwar auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer aufgrund einer materiell unrichtigen Lohnsteueranrufungsauskunft einbehalten und abgeführt hat.

In einem solchen Fall wird zwar nicht die Einkommensteuerschuld, aber die Lohnsteuerschuld i.S.d. § 38 Abs. 2 EStG des Arbeitnehmers wie auch die Entrichtungsschuld des Arbeitgebers durch das Finanzamt im Wege der Anrufungsauskunft verbindlich festgestellt. Es kann daher die vom Arbeitgeber aufgrund einer unrichtigen Anrufungsauskunft nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nicht nach § 42d Abs. 3 S. 4 Nr. 1 EStG nachfordern. Denn die Finanzbehörden sind zwar nicht im Veranlagungsverfahren, aber im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens und damit des Vorauszahlungsverfahrens auch gegenüber dem Arbeitnehmer gebunden.

An der gegenteiligen Auffassung, nach der das Finanzamt nicht gehindert ist, im Lohnsteuerverfahren dem Arbeitnehmer gegenüber einen anderen, ungünstigeren Rechtsstandpunkt zu vertreten als im Auskunftsverfahren gegenüber dem Arbeitgeber, hält der Senat nicht fest. Denn das dem Arbeitnehmer eingeräumte Antragsrecht wäre ansonsten praktisch wertlos. Arbeitgeber und Arbeitnehmer wären gezwungen, jeweils einen gemeinsamen Antrag nach § 42e EStG zu stellen

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