06.08.2025

Zur Doppelbesteuerung grenzüberschreitend ausgeschütteter Dividenden

Eine nationale Regelung, die vorsieht, dass mehr als 5 % der Dividenden, die Finanzintermediäre als Muttergesellschaften von ihren in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften beziehen, besteuert werden, verstößt gegen das Unionsrecht. Dies gilt auch dann, wenn diese Besteuerung durch eine Steuer erfolgt, die keine Körperschaftsteuer ist, deren Bemessungsgrundlage aber diese Dividenden oder einen Teil davon umfasst.

EuGH v. 1.8.2025 - C-92/24 u.a.
Der Sachverhalt:
In den Steuerjahren 2014 und 2015 bezog die klagende Banca Mediolanum, eine Bank mit steuerrechtlichem Sitz in Italien, Dividenden von ihren Tochtergesellschaften, deren steuerrechtlicher Sitz in anderen Mitgliedstaaten der Union lag. Die Klägerin nahm von den Dividenden 5 % ihres Betrags in die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer (im Folgenden: IRES) auf. Als Finanzintermediär nahm sie von diesen Dividenden auch 50 % ihres Betrags in die Bemessungsgrundlage der regionalen Steuer auf Produktionstätigkeiten (im Folgenden: IRAP) mit auf, um eine speziell Finanzintermediäre betreffende Bestimmung des italienischen gesetzesvertretenden Dekrets über die IRAP einzuhalten.

In der Folge beantragte die Klägerin die Erstattung dieses Anteils der IRAP unter Berufung darauf, dass diese Bestimmung gegen das Unionsrecht verstoße. Die Steuerverwaltung lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, dass diese Bestimmung nicht gegen die Richtlinie 2011/962 (gem. Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) verstoße. Das mit der Sache befasste italienische Gericht ersucht den EuGH um Auslegung dieser Richtlinie.

Die Gründe:
Die Richtlinie 2011/96 lässt den Mitgliedstaaten in Bezug auf die steuerrechtliche Behandlung der von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne ausdrücklich die Wahl zwischen dem Befreiungssystem (Art. 4 Abs. 1 Buchst. b) und dem Anrechnungssystem (Art. 4 Abs. 1 Buchst. a). Italien wendet das Befreiungssystem an. Zusätzlich zu der nach dieser Richtlinie zulässigen Besteuerung von 5 % der von Tochtergesellschaften an ihre in Italien ansässigen Muttergesellschaften ausgeschütteten Dividenden verlangt die nationale Regelung allerdings kurz gesagt, dass 50 % dieser Dividenden unabhängig von ihrer Herkunft in die Bemessungsgrundlage einer anderen Steuer, nämlich der IRAP, einbezogen werden.

Die in der Richtlinie 2011/965 enthaltene Vorschrift, dass ein Mitgliedstaat, der das Befreiungssystem gewählt hat, davon absehen muss, die Gewinne zu besteuern, die einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft von ihren in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften zufließen, zielt auf keine bestimmte Steuer ab. Daher erfasst nach dem Wortlaut dieser Vorschrift das Befreiungssystem jede Steuer, deren Bemessungsgrundlage die Dividenden miteinschließt, die einer Muttergesellschaft von ihren in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften zufließen.

Diese Richtlinie soll verhindern, dass es in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer Doppelbesteuerung dieser Gewinne kommt, und das Befreiungssystem daher jede Steuer gleich welcher Art erfasst, deren Bemessungsgrundlage auch nur einen Teil dieser Gewinne im Mitgliedstaat des Sitzes der Muttergesellschaft miteinschließt. Die speziell Finanzintermediäre betreffende Bestimmung des italienischen gesetzesvertretenden Dekrets über die IRAP hat jedoch zur Folge, dass 50 % der Dividenden, die diese Finanzintermediäre von ihren Tochtergesellschaften beziehen, in die Bemessungsgrundlage der IRAP einbezogen werden, die die Finanzintermediäre zu entrichten haben, unabhängig von der Herkunft dieser Dividenden.

Also ist für den Fall, dass das Befreiungssystem gewählt wurde, festzustellen, dass die Richtlinie 2011/96 einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der es einem Mitgliedstaat gestattet ist, mehr als 5 % der Dividenden, die den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Finanzintermediären von ihren in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften zufließen, zu besteuern, und zwar auch dann, wenn diese Besteuerung durch eine Steuer erfolgt, die keine Körperschaftsteuer ist, wie die IRES, deren Bemessungsgrundlage aber diese Dividenden oder einen Teil davon umfasst, wie es bei der IRAP der Fall ist.

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Rechtsprechung
Gemeinsames Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten - Einbeziehung der von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividende in die Steuerbemessungsgrundlage der Muttergesellschaft - Regelung für konzerninterne Übertragungen, die die Übertragung der von bestimmten Gesellschaften erzielten Gewinne an andere ermöglicht
EuGH vom 13.03.2025 - C-135/24
Katharina Schlücke, ISR 2025, 247
ISR0079549

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EuGH PM Nr. 98 vom 1.8.2025