16.07.2012

Zur Fortgeltung eines Vorläufigkeitsvermerks bei fehlender Wiederholung im Änderungsbescheid

Ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 AO kann auch dann noch fortbestehen, wenn er in einem Änderungsbescheid nicht ausdrücklich wiederholt wird. Die Aufhebung kann nach § 165 Abs. 2 S. 2 AO nur erfolgen, wenn die Ungewissheit über die Voraussetzungen für die Entstehung des Steueranspruchs beseitigt ist.

FG Münster 25.5.2012, 4 K 511/11 E
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte im Streitjahr 2004 Verluste aus der Veräußerung eines GmbH-Anteils erlitten. Das Finanzamt versah den Einkommensteuerbescheid mit einem Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Höhe des Verlustes aus der Anteilsveräußerung, da diese noch nicht abschließend beurteilt werden konnte. Der Bescheid erging zudem wegen anhängiger Revisionsverfahren und Verfassungsbeschwerden nach § 165 Abs. 1 S. 2 AO vorläufig.

Ein aus anderen Gründen ergangener Änderungsbescheid enthielt zwar erneut einen Vorläufigkeitsvermerk, nicht jedoch denjenigen, der sich auf die Veräußerungsverluste bezog. Nachdem sich die tatsächliche Höhe des Verlustes geklärt hatte, beantragte der Kläger eine entsprechende Änderung des Einkommensteuerbescheids zu seinen Gunsten. Das Finanzamt lehnte dies jedoch mit der Begründung ab, dass der Vorläufigkeitsvermerk nicht mehr bestehe, weil er im Änderungsbescheid nicht ausdrücklich wiederholt worden sei.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Allerdings wurde aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Sache bzw. dem Erfordernis zur Fortbildung des Rechts die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Das Finanzamt ist verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid für 2004 nach § 165 Abs. 2 S. 1 AO zu ändern und die vom Kläger geltend gemachten Verluste bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb steuermindernd zu berücksichtigen.

Vorläufige Steuerfestsetzungen können durch weitere vorläufige Festsetzungen ersetzt oder geändert werden. Ein Vorläufigkeitsvermerk bleibt als Nebenbestimmung i.S.v. § 120 AO - auch in nachfolgenden Änderungsbescheiden - so lange wirksam, bis er ausdrücklich durch eine selbständige Verfügung aufgehoben wird. Die Aufhebung kann nach § 165 Abs. 2 S. 2 AO nur erfolgen, wenn die Ungewissheit über die Voraussetzungen für die Entstehung des Steueranspruchs beseitigt ist. Dieses Erfordernis schließt die Möglichkeit einer stillschweigenden Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks im Rahmen einer ausdrücklich auf eine andere Korrekturvorschrift gestützten Änderungsveranlagung aus.

Wird allerdings in einem Änderungsbescheid ein neu gefasster Vorläufigkeitsvermerk aufgenommen, so kann darin die Aufhebung des in dem vorangegangenen Bescheid - ggf. weitergehenden - Vorläufigkeitsvermerks zu sehen sein. Denn durch den in einem Änderungsbescheid enthaltenen (neuen) Vorläufigkeitsvermerk, der an die Stelle eines im vorangegangenen Bescheid enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks tritt, kann die Finanzbehörde den Umfang der Vorläufigkeit neu bestimmen.

Im Streitfall erging zwar auch die Steuerfestsetzung im Änderungsbescheid vorläufig. Hierdurch wurde aber die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung nicht in vollem Umfang neu geregelt. Durch die fehlende Wiederholung des auf den Veräußerungsverlust bezogenen Vorläufigkeitsvermerks im Änderungsbescheid wurde dieser nicht aufgehoben. Das Finanzamt hatte bereits im ursprünglichen Bescheid zwischen dieser und der maschinell gesetzten Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 S. 2 AO unterschieden. Infolgedessen konnte der Kläger die Nebenbestimmung im Änderungsbescheid nicht dahingehend verstehen, dass eine Neuregelung der Vorläufigkeit vorgenommen werden sollte. Hierzu war das Finanzamt auch rechtlich nicht in der Lage, da die Ungewissheit über die Höhe des Verlustes zu diesem Zeitpunkt noch bestanden hatte.

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