03.03.2022

Zur Frage einer (passiven) Entstrickung durch Umsetzung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG: Zuordnung von Wirtschaftsgütern bei sog. personallosen Betriebsstätten

1. § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG lässt sich bei summarischer Prüfung nicht entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereiches des § 1 AStG und insbesondere für die allgemeine Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. EStG eine Veranlassungsprüfung (allein) nach den in den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre (entgegen BMF-Schr. v. 22.12.2016, BStBl I 2017, 182, Rz 451).
2. Auch wenn der bisherigen Senatsrechtsprechung bei der Zuordnung von Wirtschaftsgütern zu einer Betriebsstätte eine funktionsgetragene Betrachtungsweise zugrunde liegt, ist ihr jedenfalls nicht zu entnehmen, dass allein die Personalfunktion als maßgebender Zuordnungsparameter anzusehen ist (entgegen BMF-Schr. v. 26.9.2014, BStBl I 2014, 1258, Tz. 2.2.4.1).
3. Bei Betriebsstätten ohne maßgebliche Personalfunktion ist eine nutzungsbe­zogene Zuordnung von materiellen Wirtschaftsgütern nicht ausgeschlossen (BMF-Schr. v. 17.12.2019, BStBl I 2020, 84).

Kurzbesprechung
BFH v. 24.11.2021 ‑ I B 44/21 (AdV)

AO § 12; AStG § 1 Abs. 5 Satz 2, 3; EStG § 4 Abs. 1 Satz 2, 3 und 4; FGO § 69, § 129

Strittig ist, ob bei der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ein Entnahmegewinn nach § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 des EStG in der für das Jahr 2013 (Streitjahr/Erhebungszeitraum) geltenden Fassung (EStG) anzusetzen ist, weil bei einer personallosen Betriebsstätte Wirtschaftsgüter nicht mehr dieser, sondern ab dem 1.1.2013 aufgrund einer Zuordnung nach der sog. Personalfunktion vollständig der ausländischen Geschäftsleitungsbetriebsstätte zuzuordnen seien.

Die Antragstellerin ist eine KG, deren Kommanditanteile von der KS, einer KG dänischen Rechts, gehalten werden. Die Antragstellerin betreibt seit dem Jahr 2011 auf einem gepachteten Grundstück im Inland Windenergieanlagen, den "Windpark ...". Sie verfügt weder in Deutschland noch in Dänemark über eigene Mitarbeiter. Die technische und kaufmännische Betriebsführung erfolgt durch zwei deutsche Service- bzw. Verwaltungsgesellschaften auf Grundlage von Betriebsführungs- und Serviceverträgen. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für das Streitjahr, der Gewerbesteuermessbetrag für den Erhebungszeitraum und der vortragsfähige Gewerbeverlust auf den 31.12.2013 wurden zunächst erklärungsgemäß vom vormals zuständigen Finanzamt X auf ... € festgestellt bzw. festgesetzt.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das FA) änderte unter dem 17.12.2019 die streitgegenständlichen Bescheide, stellte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit ... € fest und passte den Gewerbesteuermessbetrag sowie den vortragsfähigen Gewerbeverlust entsprechend an. Das FA ging dabei davon aus, dass aufgrund der Änderungen und Ergänzungen des § 1 Abs. 5 und 6 des Gesetzes über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen (Außensteuergesetz) i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz) vom 26.6.2013 AStG ab dem 1.1.2013 alle Vermögensgegenstände, Schulden und Geschäftsvorfälle abweichend von den Vorjahren erstmals der Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Dänemark zuzuordnen seien. Hierdurch sei das gesamte Vermögen der Antragstellerin steuerrechtlich "entstrickt" worden.

Über die hiergegen eingelegten Einsprüche ist noch nicht entschieden worden. Die zugleich beantragte Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA unter dem 21.1.2020 ab. Am 27.11.2020 hat die Antragstellerin die AdV der angefochtenen Bescheide beantragt. Das FG Saarland hat mit Beschluss vom 30.3.2021, 1 V 1374/20 die Vollziehung der Bescheide ausgesetzt und die Beschwerde zugelassen.

Die hiergegen eingelegte Beschwerde des FA ist jedoch unbegründet. Es bestehen - wie vom FG zutreffend angenommen - ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 5.11.2020. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG steht einer Entnahme "für betriebsfremde Zwecke" der Ausschluss oder die Beschränkung des Be­steuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleich. Ein Ausschluss oder eine Be­schränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräuße­rung eines Wirtschaftsguts liegt insbesondere dann vor, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Stpfl. zuzuordnendes Wirtschafts­gut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist (§ 4 Abs. 1 Satz 4 EStG). Ebenfalls zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Wirtschaftsgüter des Windparks bis zum 31.12.2012 der Betriebsstätte im Inland und nicht der Geschäftsleitungsbetriebsstätte in Dänemark zuzurechnen waren. Hierfür reicht ein ganz überwiegender Veranlassungszusammenhang der Wirtschaftsgüter der Windenergieanlage mit der Produktion und dem Vertrieb von Strom aus. Der im Streitfall einschlägige § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fordert keine tatsächliche Zugehörigkeit der Wirtschaftsgüter zu der im Inland gelegenen Betriebsstätte.

Um die Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, ordnet § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG "in einem ersten Schritt" an, dass neben Chancen und Risiken sowie einem angemessenen Eigenkapital die Funktionen des Unternehmens, die durch ihr Personal ausgeübt werden (Personalfunktionen) sowie die Vermögenswerte des Unternehmens, die sie zur Ausübung der ihr zugeordneten Funktionen benötigt, der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Die Finanzverwaltung versteht die gesetzliche Regelung dahin, dass ausgehend von den in der Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen die Vermögenswerte des Unternehmens zu bestimmen sind, die der Betriebsstätte zuzuordnen sind.

Auf den Streitfall bezogen bedeutet dies nach Auffassung des FA, dass die bisher der inländischen Betriebsstätte zugeordneten Windenergieanlagen ab dem 1.1.2013 der Betriebsstätte der Gesellschafterin der Antragstellerin in Dänemark zuzuordnen sind. Aufgrund dieser (neuen) Zuordnung der Windenergieanlage komme es zu einer Überführung der Vermögenswerte. Folglich sei gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG von einer Entnahme "für betriebsfremde Zwecke" i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG auszugehen, die mit dem gemeinen Wert der entnommenen Wirtschaftsgüter anzusetzen sei (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG).

Ob § 1 Abs. 5 Satz 3 AStG eine entsprechende Rechtsfolge begründen kann, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden worden und wird zwischen Finanzverwaltung und dem Schrifttum uneinheitlich beantwortet. Dies reicht bereits für ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzung/Feststellungen aus.

Dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 AStG und insbesondere dessen Satz 3 lässt sich nicht entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 AStG und insbesondere für die allgemeine Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. EStG eine Veranlassungsprüfung (allein) nach den in den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre. Eine entsprechende "Ausstrahlwirkung" kann in § 1 Abs. 5 AStG auch nicht hineingelesen werden. Hierfür spricht auch die systematische Stellung der Vorschrift im AStG.

Schließlich hat der Senat Zweifel, ob unter der Geltung des § 1 Abs. 5 AStG die Grundsätze zur Zuordnung von Wirtschaftsgütern nach der Personalfunktion bei sog. personallosen Betriebsstätten überhaupt anwendbar sind.

Im anhängigen Verfahren ist nicht mehr der weiteren Frage nachzugehen, ob der Tatbestand der genannten Entstrickungsregelungen auch zur Anwendung kommt, wenn das Besteuerungsrecht Deutschlands durch rein staatliches Handeln (hier: eine gesetzliche Regelung) ausgeschlossen oder eingeschränkt wird (sog. passive Entstrickung; vgl. zur Problematik Musil in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 230).
Verlag Dr. Otto Schmidt
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