23.06.2020

Zur Pfändung eines Kontos wegen Steuerschulden bei Einzahlung von Corona-Soforthilfe

Das FG Münster hat sich mit der Frage der Pfändung eines Kontos wegen Steuerschulden befasst, soweit auf dieses Konto die sog. Corona-Soforthilfe eingezahlt wurde.

FG Münster v. 8.6.2020 - 11 V 1541/20 AO
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Beschränkung der vom Finanzamt ausgebrachten "Kontopfändung". Der Antragsteller betreibt einen Hausmeisterservice. Er unterhält ein Konto bei einer Sparkasse. Das Konto wird als sog. P-Konto (Pfändungsschutzkonto nach § 850k ZPO) geführt. Bzgl. des Kontos erließ das Finanzamt im April 2019 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung über eine Gesamtforderung i.H.v. rd. 9.100 € wegen rückständiger Umsatzsteuer und Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 2015 und rückständiger Verspätungszuschläge zur Umsatzsteuer 2015, die der Sparkasse am 23.4.2019 zugestellt wurde. Mit der Drittschuldnererklärung vom 30.4.2019 erklärte die Sparkasse u.a., dass das Konto kein pfändbares Guthaben ausweise und vorrangige Pfändungen i.H.v. rd. 800 € vorlägen.

Mit Bescheid der Bezirksregierung vom 6.4.2020 wurde dem Antragsteller gem. § 53 Landeshaushaltsordnung (LHO) i.V.m. dem Bundesprogramm "Soforthilfen für Kleinstunternehmer und Soloselbständige" eine Soforthilfe i.H.v. 9.000 € als einmalige Pauschale bewilligt. Bei der Soforthilfe handelte es sich um eine Kleinbeihilfe gem. der Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen i.Z.m. dem Ausbruch COVID-19. In dem Bescheid wird u.a. ausgeführt:

"2. Zweckbindung: Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung. Die Soforthilfe dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1.3.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 1.3.2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe. 3. Aufrechnungsverbot: Für die bewilligte Soforthilfe gilt ein direktes Verrechnungs- bzw. Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei Überweisung der Soforthilfe darf es nicht zu einer zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstiger Zins- und Tilgungsforderungen kommen. Die bewilligte Soforthilfe muss vollumfänglich zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden. II. Nebenbestimmungen: Die Soforthilfe wird unter folgenden Nebenbestimmungen gewährt: .... Sollten Sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel auf das Konto der Landeskasse ... zurückzuzahlen."

Der Betrag i.H.v. 9.000 € wurde mit Wertstellung am 8.4.2020 auf dem Konto der Antragstellerin bei der Sparkasse gutgeschrieben. Mit Schreiben vom 15.5.2020 beantragte der Antragsteller beim Finanzamt die Freigabe der Corona-Soforthilfe. Zur Begründung trug er vor: Er sei Solo-Selbständiger und habe die Corona-Soforthilfe erhalten. Damit er über das Geld, welches zweckgebunden zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen ausgelöst durch die Corona-Krise verwandt werden solle, verfügen könne, benötige er die Freigabeerklärung. Die Sparkasse habe mitgeteilt, dass bis Ende Mai eine entsprechende Erklärung vorliegen müsse. Das Finanzamt lehnte den Antrag auf vollständige Freigabe des sich auf dem Konto derzeit und zukünftig befindlichen Guthabens mit Verfügung vom 20.5.2020 ab. Es bleibe de Antragsteller unbenommen, unter Erbringung der erforderlichen Nachweise (Kontoauszüge, Kostenaufstellungen, etc.) einen Antrag auf Pfändungsschutz nach § 319 AO i.V.m. §§ 850 ff. ZPO für bestimmte Beträge zu stellen.

Das FG gab dem Antrag statt. Die Beschwerde zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die Gründe:
Wird im Vollstreckungsverfahren nach der AO als vorläufiger Rechtsschutz die Verpflichtung der Behörde zur Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung oder Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme durch ein Finanzgericht verlangt, so kommt als Rechtsgrundlage die nach § 258 AO in das Ermessen der Behörde gestellte Befugnis zur Gewährung einer vorläufigen Vollstreckungsaussetzung in Betracht (vgl. u.a. Beschluss des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 10.08.1991 VII S 40/91, BFH/NV 1992, 317). Der Senat folgt insoweit der für den Antragsteller günstigen Auffassung, wonach das Gericht befugt ist, eine einstweilige Anordnung in Ausübung eigenen Ermessens (Interimsermessen) zu treffen.

Die - auch nur teilweise - Einziehung der Corona-Soforthilfe durch das Finanzamt würde zu einem unangemessenen Nachteil für den Antragsteller führen. Solange das Finanzamt aufgrund der von ihm erlassenen Pfändungs- und Einziehungsverfügung die Vollstreckung betreibt und die Vollstreckung nicht bezogen auf die Corona-Soforthilfe einschränkt, zahlt die Sparkasse als Drittschuldner dem Antragsteller nicht den ihm gewährten Billigkeitszuschuss in Form der Corona-Soforthilfe aus. Die Corona-Soforthilfe, die an den Antragsteller auszuzahlen ist, ist eine nicht der Pfändung unterworfene Forderung i.S.d. § 851 Abs. 1 ZPO. Gem.§ 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung in Ermangelung besonderer Vorschriften nur insoweit der Pfändung unterworfen, als sie übertragbar ist. Zweckgebundene Forderungen sind grundsätzlich nicht übertragbar und damit unpfändbar, soweit durch die Abtretung oder Pfändung der Forderung deren Zweckbindung beeinträchtigt wird.

Vorliegend wird durch die Einziehung des Girokonto-Guthabens, das durch den Billigkeitszuschuss in Form der Corona-Soforthilfe erhöht wurde, die Zweckbindung des Billigkeitszuschusses beeinträchtigt. Denn die Corona-Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1.3.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 1.3.2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe. Sollte die Corona-Soforthilfe aufgrund der Kontopfändung von dem Finanzamt eingezogen werden, könnte ihr Zweck nicht erfüllt werden. Im Übrigen dient sie gerade nicht der Befriedigung von Gläubigeransprüchen, die vor dem 1.3.2020 entstanden sind, sondern nur solchen, die seit dem 1.3.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind. Im Ergebnis dient die Corona-Soforthilfe somit nicht dem Zweck, die vor dem 1.3.2020 entstandenen Ansprüche des Antragsgegners zu befriedigen.

Das Finanzamt ist auch kein Anlassgläubiger, der von der Zweckgebundenheit der Corona-Soforthilfe geschützt wäre. Im Übrigen wird in dem Bewilligungsbescheid für die Corona-Soforthilfe auch ein Aufrechnungsverbot ausgesprochen. Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn die Vollstreckung mit schwerwiegenden Nachteilen für den Vollstreckungsschuldner verbunden ist, etwa seine persönliche oder wirtschaftliche Existenz dadurch bedroht wird. Begehrt der Antragsteller die Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen unter Hinweis auf § 258 AO, besteht ein Anordnungsgrund regelmäßig nur bei außergewöhnlichen Umständen, z. B. einer drohenden Existenzvernichtung oder konkreter und unmittelbarer Gesundheitsgefährdungen. Hierzu hat der Antragsteller geltend gemacht, dass seine Aufträge weggebrochen seien und er die laufenden Kosten wie Garagenmiete, Fahrzeugmiete, Fahrzeugversicherung, etc. nicht mehr bedienen könne und auch geltend gemacht, dass die Existenz seines Geschäftsbetriebs gefährdet sei.
FG Münster PM vom 19.5.2020
Zurück