Zur Steuerbefreiung der vertretungsweisen Übernahme eines ärztlichen Notfalldienstes gegen Entgelt
KurzbesprechungUStG § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 1, § 4 Nr. 14 Buchst. a, § 19
EGRL 112/2006 Art. 2 Abs. 1 Buchst. c, 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. c
FGO § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 135 Abs. 1, § 136 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 1
Der Steuerpflichtige ist selbständiger Arzt, der mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KV) eine Vereinbarung über die freiwillige Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst abgeschlossen hat. Er übernahm in den Jahren 2012 bis 2016 für andere, an sich zum Notfalldienst eingeteilte Ärzte als Vertreter deren "Sitz- und Fahrdienste" in eigener Verantwortung.
Gegenüber den vertretenen Ärzten rechnete der Steuerpflichtige hierfür einen Stundenlohn zwischen 20 € und 40 € ab. Der Steuerpflichtige vertrat die Auffassung, dass die Entgelte umsatzsteuerfrei bleiben und gab keine Umsatzsteuererklärung ab. Dagegen war das FA der Ansicht, der Steuerpflichtige erbringe gegenüber dem Arzt, dessen Notfalldienst er übernehme, eine sonstige Leistung gegen Entgelt, die kein therapeutisches Ziel habe. Die Vertretung des Arztes beim Notfalldienst sei daher umsatzsteuerpflichtig.
Einspruch und auch die nachfolgend eingelegte Klage blieben ohne Erfolg. Im Revisionsverfahren bekam der Steuerpflichtige hingegen Recht. Er entschied, dass die vertretungsweise Übernahme ärztlicher Notfalldienste gegen Entgelt durch einen anderen Arzt als Heilbehandlung i.S.d. § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG anzusehen ist und daher umsatzsteuerfrei bleibt.
Zur Begründung wies der BFH darauf hin, dass es zwar zutrifft, dass sich die vom Steuerpflichtigen vertretenen Ärzte durch die Vertretung beim Notfalldienst quasi Freizeit "erkauft" haben. Allerdings hat der Steuerpflichtige die zum Notfalldienst eingeteilten Ärzte nur dadurch von der Übernahme des Dienstes freistellen können, dass er selbst den ärztlichen Notfalldienst erbracht hat. Der ärztliche Notfalldienst ist jedoch zweifelsfrei eine ärztliche Heilbehandlung, denn er dient dazu, in Notfällen ärztliche Leistungen in Zeiten zu erbringen, in denen die reguläre haus- oder fachärztliche Versorgung nicht stattfindet. Er gewährleistet damit die ärztliche Versorgung von Notfallpatienten im jeweiligen Einsatzgebiet und ist daher umsatzsteuerfrei. Dabei kommt es auf den Umfang der tatsächlichen Inanspruchnahme des Notfalldienstes durch die Patienten nicht an. Diese rechtliche Beurteilung gilt, so der BFH, für die Notfalldienste eines Vertreters in gleicher Weise wie für die Notfalldienste der von der KV dafür eingeteilten Ärzte.
Hinweis: Der BFH überträgt damit einerseits seine Rechtsprechung zu Bereitschaftsdiensten bei Großveranstaltungen (BFH v. 2.8.2018 - V R 37/17, BFH/NV 2019, 177) auf den "Sitz- und Fahrdienst". Andererseits stellt er auch insoweit die Leistungserbringung durch einen fachlich qualifizierten Subunternehmer des Arztes der Leistungserbringung durch den Arzt selbst gleich. Diese tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise des BFH gewährleistet damit die möglichst gleichmäßige Umsatzbesteuerung ärztlicher Notfalldienste in ganz Deutschland, da es dadurch auf die erheblichen regionalen Unterschiede in der Organisation der Vertretung bei Notfalldiensten durch die jeweils zuständige KV nicht ankommt.