Zur Umsatzsteuerbefreiung von Betreuungs- und Pflegeleistungen, die aus dem Persönlichen Budget bestritten werden
Kurzbesprechung
BFH v. 30.4.2025 - XI R 25/24
UStG § 4 Nr. 16 Buchst l
EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g
SGB 9 2018 § 29
GG Art 3 Abs 1, GG Art 3 Abs 3
UNBehRÜbk
Streitig war, ob Leistungen der Steuerpflichtigen, die der jeweilige Leistungsempfänger aus seinem Persönlichen Budget im Sinne von § 29 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) bezahlt, umsatzsteuerfrei sind.
Der BFH entschied, dass die Umsätze der Steuerpflichtigen steuerfrei sind.
Nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. sind steuerfrei die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen erbracht werden, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungsbeihilfe nach § 94 SGB IX oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.
§ 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. ist europarechtskonform, wenn er die Steuerbefreiung davon abhängig macht, dass bei der betreffenden Einrichtung die Betreuungskosten in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden. Der nationale Gesetzgeber hatte lediglich die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens insoweit nicht beachtet, als er bezüglich der Einhaltung der Mindestvergütungsquote früher auf das vorangegangene Kalenderjahr abgestellt.
Die Steuerpflichtige erhielt ihre Zahlungen nicht in mindestens 25 % der Fälle unmittelbar von den in § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. genannten gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungsbeihilfe nach § 94 SGB IX oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge, sondern von den Leistungsempfängern. Der Umstand, dass diese die Zahlungen aus dem Persönlichen Budget bestritten haben, das die Budgetnehmer zuvor von den in § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. genannten Personen als Geldleistung erhalten hatten, ist als solcher nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen, da in der Zahlung durch die Budgetnehmer als solche keine Anerkennung durch den betreffenden Mitgliedstaat liegt, wenn sich der Budgetnehmer für eine bestimmte Leistung den leistenden Unternehmer selbst aussuchen kann.
Außerdem sind nur die Umsätze von anerkannten und nicht auch die von nicht anerkannten Einrichtungen befreit, wenn der betreffende Mitgliedstaat das ihm eingeräumte Ermessen ‑‑ wie bei § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. ‑‑ eingehalten hat. Allerdings kann auch bei der Erbringung von Leistungen, die aus dem Persönlichen Budget vom Budgetnehmer bezahlt werden, eine mittelbare Anerkennung durch eine explizite Entscheidung des das Budget gewährenden Trägers vorliegen.
Der V. Senat des BFH hat zu der Frage, ob Leistungen, die aus dem Persönlichen Budget bestritten werden, mit Urteil vom 19.12.2024 - V R 1/22 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 18 bis 29) entschieden, dass nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k bzw. l UStG a.F. Leistungen steuerfrei sind, die "vergütet worden sind", was nur voraussetzt, dass der zuständige Träger die erbrachten Leistungen kennt und die Kosten hierfür ‑‑ wenn auch nur mittelbar ‑‑ tragen will. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Kostenübernahme ‑ ‑auch in Bezug auf die Person des Leistungserbringers ‑‑ auf einer expliziten Entscheidung des Kostenträgers beruht. Auch in der Bereitschaft zur Vergütung einer Leistung einer dem Sozialversicherungsträger bekannten Person liegt daher eine Anerkennung als vergleichbare Einrichtung mit sozialem Charakter.
Vor diesem Hintergrund sind auch aus dem Persönlichen Budget (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F., nunmehr § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX n.F.) bestrittene Leistungen für die Bemessung der Mindestvergütungsquote des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k, l, m oder n UStG a.F. zu berücksichtigen, wenn eine explizite Entscheidung auch in Bezug auf die Person des Leistungserbringers durch einen in dieser Vorschrift genannten Träger (z.B. gesetzlicher Träger der Sozialversicherung, Träger der Sozialhilfe, Träger der Eingliederungsbeihilfe nach § 94 SGB IX) vorliegt.
Im Streitfall lag bei den von der Steuerpflichtigen betreuten Budgetnehmern jeweils eine vom Budgetnehmer mit dem Budgetgeber geschlossenen individuelle Zielvereinbarung vor, in der die Steuerpflichtige als Leistungserbringerin namentlich genannt wird. Außerdem wird in einem Gesamtplan des Budgetgebers nach § 121 SGB IX die Steuerpflichtige namentlich erwähnt. Es liegt daher hinsichtlich aller Budgetnehmer, denen ein Persönliches Budget unter Einschaltung der Steuerpflichtigen gewährt wurde, eine explizite Entscheidung des zuständigen Trägers im Sinne des § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. vor. Die Sozialgrenze ist damit überschritten und die an die Budgetnehmer ausgeführten Umsätze der Steuerpflichtigen sind steuerfrei.
Verlag Dr. Otto Schmidt
UStG § 4 Nr. 16 Buchst l
EGRL 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst g
SGB 9 2018 § 29
GG Art 3 Abs 1, GG Art 3 Abs 3
UNBehRÜbk
Streitig war, ob Leistungen der Steuerpflichtigen, die der jeweilige Leistungsempfänger aus seinem Persönlichen Budget im Sinne von § 29 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) bezahlt, umsatzsteuerfrei sind.
Der BFH entschied, dass die Umsätze der Steuerpflichtigen steuerfrei sind.
Nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. sind steuerfrei die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen erbracht werden, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungsbeihilfe nach § 94 SGB IX oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.
§ 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. ist europarechtskonform, wenn er die Steuerbefreiung davon abhängig macht, dass bei der betreffenden Einrichtung die Betreuungskosten in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden. Der nationale Gesetzgeber hatte lediglich die Grenzen des ihm zustehenden Ermessens insoweit nicht beachtet, als er bezüglich der Einhaltung der Mindestvergütungsquote früher auf das vorangegangene Kalenderjahr abgestellt.
Die Steuerpflichtige erhielt ihre Zahlungen nicht in mindestens 25 % der Fälle unmittelbar von den in § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. genannten gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungsbeihilfe nach § 94 SGB IX oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge, sondern von den Leistungsempfängern. Der Umstand, dass diese die Zahlungen aus dem Persönlichen Budget bestritten haben, das die Budgetnehmer zuvor von den in § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. genannten Personen als Geldleistung erhalten hatten, ist als solcher nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu führen, da in der Zahlung durch die Budgetnehmer als solche keine Anerkennung durch den betreffenden Mitgliedstaat liegt, wenn sich der Budgetnehmer für eine bestimmte Leistung den leistenden Unternehmer selbst aussuchen kann.
Außerdem sind nur die Umsätze von anerkannten und nicht auch die von nicht anerkannten Einrichtungen befreit, wenn der betreffende Mitgliedstaat das ihm eingeräumte Ermessen ‑‑ wie bei § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. ‑‑ eingehalten hat. Allerdings kann auch bei der Erbringung von Leistungen, die aus dem Persönlichen Budget vom Budgetnehmer bezahlt werden, eine mittelbare Anerkennung durch eine explizite Entscheidung des das Budget gewährenden Trägers vorliegen.
Der V. Senat des BFH hat zu der Frage, ob Leistungen, die aus dem Persönlichen Budget bestritten werden, mit Urteil vom 19.12.2024 - V R 1/22 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 18 bis 29) entschieden, dass nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k bzw. l UStG a.F. Leistungen steuerfrei sind, die "vergütet worden sind", was nur voraussetzt, dass der zuständige Träger die erbrachten Leistungen kennt und die Kosten hierfür ‑‑ wenn auch nur mittelbar ‑‑ tragen will. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Kostenübernahme ‑ ‑auch in Bezug auf die Person des Leistungserbringers ‑‑ auf einer expliziten Entscheidung des Kostenträgers beruht. Auch in der Bereitschaft zur Vergütung einer Leistung einer dem Sozialversicherungsträger bekannten Person liegt daher eine Anerkennung als vergleichbare Einrichtung mit sozialem Charakter.
Vor diesem Hintergrund sind auch aus dem Persönlichen Budget (§ 17 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F., nunmehr § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX n.F.) bestrittene Leistungen für die Bemessung der Mindestvergütungsquote des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k, l, m oder n UStG a.F. zu berücksichtigen, wenn eine explizite Entscheidung auch in Bezug auf die Person des Leistungserbringers durch einen in dieser Vorschrift genannten Träger (z.B. gesetzlicher Träger der Sozialversicherung, Träger der Sozialhilfe, Träger der Eingliederungsbeihilfe nach § 94 SGB IX) vorliegt.
Im Streitfall lag bei den von der Steuerpflichtigen betreuten Budgetnehmern jeweils eine vom Budgetnehmer mit dem Budgetgeber geschlossenen individuelle Zielvereinbarung vor, in der die Steuerpflichtige als Leistungserbringerin namentlich genannt wird. Außerdem wird in einem Gesamtplan des Budgetgebers nach § 121 SGB IX die Steuerpflichtige namentlich erwähnt. Es liegt daher hinsichtlich aller Budgetnehmer, denen ein Persönliches Budget unter Einschaltung der Steuerpflichtigen gewährt wurde, eine explizite Entscheidung des zuständigen Trägers im Sinne des § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. vor. Die Sozialgrenze ist damit überschritten und die an die Budgetnehmer ausgeführten Umsätze der Steuerpflichtigen sind steuerfrei.