04.05.2012

Zur zeitlichen Einschränkung eines Kindergeldantrags

Ein zeitlich nicht beschränkter Kindergeldantrag ist zwar nach seinem objektiven Inhalt in der Regel dahin zu verstehen, dass die Festsetzung von Kindergeld für den längstmöglichen Zeitraum somit auch für die Zeit vor der Antragstellung begehrt wird. Dennoch kann ein solcher Antrag aufgrund seines objektiven Erklärungsinhalts dahin auszulegen sein, dass die Festsetzung ab dem Monat beantragt wird, in dem erstmals die für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer erforderlichen ausländerrechtlichen Voraussetzungen vorliegen.

BFH 9.2.2012, III R 45/10
Der Sachverhalt:
Der aus Vietnam stammende Kläger war seit November 1997 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Unter Verwendung des amtlichen Vordrucks, in dem keine Eintragungen für eine zeitliche Einschränkung vorgesehen sind, beantragte er daraufhin die Festsetzung von Kindergeld für seine beiden Kinder. Dem Antrag war eine Kopie der kurz zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis beigefügt (§ 15 AuslG 1990). Die beklagte Familienkasse zahlte das Kindergeld aufgrund einer Kassenanordnung von Januar 1998 ab November 1997 aus. Einen ausdrücklichen Festsetzungsbescheid erließ sie nicht.

Im Juli 2008 beantragte der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des BVerfG vom 6.7.2004 (1 BvL 4/97) die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum September 1993 bis November 1997. Das BVerfG hatte entschieden, dass die Regelung der Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer in § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes i.d.F. des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21.12.1993, der mit der früheren einkommensteuerrechtlichen Regelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern nahezu wortgleich war, verfassungswidrig sei.

Der Kläger ist der Ansicht, nach der gem. § 52 Abs. 61a EStG rückwirkend anzuwendenden Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG habe er auch für Zeiträume vor November 1997 einen Anspruch auf Kindergeld. Die Familienkasse lehnte eine nachträgliche Festsetzung ab, da nach ihrer Ansicht Festsetzungsverjährung eingetreten war. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Kindergeld für den Zeitraum Mai bis Oktober 1997.

Das FG wies die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Anspruch auf Kindergeld war bereits verjährt, als der Kläger im Juli 2008 die Auszahlung für den Zeitraum Mai bis Oktober 1997 begehrte.

Die Festsetzungsfrist für Steuervergütungen beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO) und war im Juli 2008, als der Kläger das Kindergeld für die Monate vor November 1997 begehrte, bereits abgelaufen. Der Ablauf der Verjährungsfrist wurde nicht nach § 171 Abs. 3 AO durch den im November 1997 gestellten Kindergeldantrag gehemmt. Dieser Antrag war entgegen der Rechtsansicht des Klägers und des FG nicht dahin zu verstehen, dass der Kläger auch für vergangene Zeiträume Kindergeld begehrte.

Ein zeitlich nicht beschränkter Antrag ist zwar nach seinem objektiven Inhalt in der Regel dahin zu verstehen, dass die Festsetzung von Kindergeld für den längstmöglichen Zeitraum und somit auch für die Zeit vor der Antragstellung begehrt wird. Ein Bescheid, durch den ein zeitlich nicht eingeschränkter Antrag auf Kindergeld bestandskräftig abgelehnt wird, erfasst demnach nicht nur den Monat der Antragstellung und die darauffolgende Zeit bis zum Monat der Bekanntgabe der Ablehnungsentscheidung oder ggf. der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung, sondern auch den Zeitraum vor der Antragstellung.

Ungeachtet dessen kann im Einzelfall die Auslegung eines Kindergeldantrags hinsichtlich des Zeitraums, für den Kindergeld begehrt wird, erforderlich sein. Das FG hat im Streitfall eine Auslegungsbedürftigkeit des im November 1997 gestellten Kindergeldantrags stillschweigend verneint, weil dieser nicht ausdrücklich zeitlich beschränkt war. Eine Auslegung des Antrags durfte jedoch nicht unterbleiben. Vorliegend konnte der Kindergeldantrag nach seinem eindeutigen Erklärungsinhalt nur dahin verstanden werden, dass der Kläger die Festsetzung ab dem Monat begehrte, in dem er erstmals die ausländerrechtlichen Voraussetzungen erfüllte, die nach der im Jahr 1997 geltenden Fassung des § 62 Abs. 2 S. 1 EStG vorliegen mussten.

Hiernach hatte ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer nur dann einen Anspruch auf Kindergeld, wenn er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis war. Der Kläger hatte seinem Kindergeldantrag eine Kopie der erst kurz zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis beigefügt. Damit wollte er offensichtlich gegenüber der Familienkasse zum Ausdruck bringen, dass nunmehr die ausländerrechtlichen Voraussetzungen für eine Kindergeldberechtigung erfüllt waren. Die Familienkasse hatte keinen Anhaltspunkt dafür, den Kindergeldantrag, auch wenn er keine ausdrückliche zeitliche Einschränkung enthielt, dahin auszulegen, dass auch für die Zeit vor November 1997 Kindergeld begehrt werden sollte.

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