13.11.2025

Zweimalige Festsetzung von Grunderwerbsteuer für den Erwerb von Gesellschaftsanteilen beim Auseinanderfallen von sogenanntem Signing und Closing

Es ist rechtlich zweifelhaft, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) und § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG festgesetzt werden kann, wenn dem Finanzamt im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits erfolgt ist.

Kurzbesprechung
BFH-Beschluss v. 27.10.2025 - II B 47/25 (AdV)

GrEStG § 1 Abs 2b, GrEStG § 1 Abs 3 Nr. 1, GrEStG § 1 Abs 3 Nr. 3, GrEStG § 16 Abs 4a, GrEStG § 16 Abs 5
FGO § 69 Abs 2, FGO § 69 Abs 3


Mit Beschluss v. 9.7.2025 - II B 13/25 (AdV) (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) hat der BFH entschieden, dass es ernstlich zweifelhaft im Sinne des § 69 FGO ist, ob bei einem Erwerb von Anteilen an einer GmbH, bei dem das schuldrechtliche Erwerbsgeschäft (Signing) und die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) zeitlich auseinanderfallen, zweimal Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 2b und § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG festgesetzt werden darf, wenn dem FA im Zeitpunkt der Festsetzung der Grunderwerbsteuer nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bekannt ist, dass die Übertragung der GmbH-Anteile (Closing) bereits stattgefunden hat.

Die ernstlichen Zweifel ergeben sich insbesondere daraus, dass nach dem Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG eine Besteuerung nach dieser Vorschrift nur erfolgen soll, "soweit eine Besteuerung nach den Absätzen 2a und 2b nicht in Betracht kommt".

Soweit die Finanzverwaltung davon ausgeht, dass ein Vorrang des Tatbestands des § 1 Abs. 2b GrEStG gegenüber einer Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur besteht, soweit die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder 4 GrEStG gleichzeitig erfolgt (vgl. Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Anwendung des § 1 Absatz 3 des GrEStG v. 5.3.2024, BStBl I 2024, 383, Rz 30), lässt sich dies dem Wortlaut des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht entnehmen.

Auch die Einfügung des § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG durch das Jahressteuergesetz 2022 v. 16.12.2022 (BGBl I 2022, 2294) hat den im Einleitungssatz normierten Vorrang nicht beseitigt. Denn soweit in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, dass der Anwendungsvorrang des § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG nicht gelten solle, wenn der Abschluss des Rechtsgeschäfts und die Anteilsübertragung zeitlich auseinanderfallen, hat dies im Gesetzeswortlaut des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG keinen Ausdruck gefunden.

An der vorgenannten rechtlichen Beurteilung hält der II. Senat des BFH bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage fest. Danach ergeben sich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung daraus, dass dem FA beim Erlass des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids aufgrund des Anteilserwerbs nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG (Signing) bekannt war, dass der vom Notar nicht angezeigte Übergang der Anteile an der GmbH (Closing) bereits erfolgt war und eine Grunderwerbsteuerpflicht nach § 1 Abs. 2b GrEStG bestand. Das FA hatte dennoch am selben Tag zwei Grunderwerbsteuerbescheide über denselben Anteilserwerb erlassen, was der materiell-rechtlichen Vorrangregelung des Einleitungssatzes des § 1 Abs. 3 GrEStG widerspricht.
Verlag Dr. Otto Schmidt