22.08.2025

Zwischenurteil über die verlängerte Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung

Ein Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung über die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 der Abgabenordnung (AO) wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO kann nicht ergehen, wenn Feststellungen über Grund und Höhe des jeweiligen Steueranspruchs und damit zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung fehlen.

Kurzbesprechung
BFH v. 9.4.2025 - II R 39/21

AO § 169 Abs 2 S 2, AO § 370 Abs 1 Nr. 1, AO § 370 Abs 4
FGO § 99 Abs 2


Nach § 99 Abs. 2 FGO kann das Gericht durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist und die Beteiligten nicht widersprechen. Ob das FG in dieser Form entscheiden will, beurteilt es zwar nach eigenem Ermessen. Der BFH prüft aber, ob die Voraussetzungen eines Zwischenurteils vorgelegen haben. Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen hat der BFH in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ohne an die vorgebrachten Revisionsgründe insoweit gebunden zu sein (§ 118 Abs. 3 Satz 2 FGO).

Sachdienlich ist eine Entscheidung durch Zwischenurteil, wenn zu erwarten ist, dass die Beteiligten nach der verbindlichen Klärung der Rechtsfrage den Rechtsstreit rasch beilegen werden. Es kann aber auch andere Gründe für die Sachdienlichkeit geben. Nicht sachdienlich ist die Entscheidung über eine Rechtsfrage insbesondere dann, wenn noch nicht alle für ihre abschließende Beantwortung im Urteilsfall erforderlichen tatsächlichen Feststellungen getroffen sind. Ein Zwischenurteil kommt deshalb nur zu solchen Vorfragen in Betracht, über die mit Sicherheit auch in einem Endurteil zu entscheiden wäre.

Im Streitfall waren diese Anforderungen an die Sachdienlichkeit eines Zwischenurteils nicht erfüllt. Zwar kann über die Frage des Ablaufs der Festsetzungsfrist grundsätzlich durch Zwischenurteil entschieden werden. Ein Zwischenurteil gemäß § 99 Abs. 2 FGO, in dem das FG über die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO entscheidet, darf allerdings nicht ergehen, wenn Feststellungen über Grund und Höhe des jeweiligen hinterzogenen Steueranspruchs und damit zum objektiven und subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung fehlen.

Das FG hatte nicht alle tatsächlichen Feststellungen getroffen, um die Vorfrage, ob die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO für die Erbschaftsteuer noch nicht abgelaufen war, entscheiden zu können. Es fehlten tatsächliche Feststellungen dazu, ob und in welcher Höhe unter Berücksichtigung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO der jeweilige Steueranspruch besteht, um prüfen zu können, ob und in welcher Höhe eine Steuerhinterziehung, insbesondere eine Steuerverkürzung und der darauf bezogene Vorsatz des Klägers vorliegt. Denn sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 AO erfordert bereits bei Prüfung des Ablaufs der Festsetzungsfrist Feststellungen zu Grund und Höhe des jeweiligen Steueranspruchs.

Im Streitfall war das Zwischenurteil aufzuheben, da das FG ohne Feststellungen zu Grund und Höhe der jeweiligen Steueransprüche in Bezug auf die Erbschaftsteuer zu treffen, die verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Alternative 1 AO bejaht hatte. Mit der Aufhebung des angefochtenen Zwischenurteils befindet sich das Klageverfahren wieder in dem Stadium, das vor Erlass des Zwischenurteils bestanden hat, ohne dass es einer förmlichen Zurückverweisung bedarf. Im weiteren Rechtsgang muss das FG nun die fehlenden Feststellungen hinsichtlich einer etwaigen Steuerhinterziehung nachholen.
Verlag Dr. Otto Schmidt