02.10.2014

Auch überspitzte Äußerungen stellen für sich genommen noch keine Schmähung dar

Das BVerfG hat den in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff der "Schmähkritik" wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung.

BVerfG 28.7.2014, 1 BvR 482/13
Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer führte vor dem AG einen Schadensersatzprozess gegen seinen ehemaligen Prozessbevollmächtigten, da dieser eine Berufung in einem weiteren Verfahren beim falschen Gericht eingelegt haben soll. Das Gericht wies die Klage ab; die Berufung gegen das Urteil blieb ohne Erfolg. Der Beschwerdeführer erhob daraufhin eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die zuständige Richterin des AG, in der er u.a. ausführte, er protestiere "gegen das schäbige, rechtswidrige und eines Richters unwürdige Verhalten der Richterin" und meine, "sie müsse effizient bestraft werden um zu verhindern, dass diese Richterin nicht auf eine schiefe Bahn gerät".

Das AG verurteilte den Beschwerdeführer infolgedessen wegen Beleidigung gem. § 185 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 20 €. Im Berufungsverfahren sprach das LG den Beschwerdeführer zunächst frei. Dieses Urteil hob das OLG jedoch im Revisionsverfahren auf und verwies das Verfahren zurück. Das LG verwarf die Berufung des Beschwerdeführers daraufhin als unbegründet. Die erneute Revision des Beschwerdeführers blieb vor dem OLG ohne Erfolg. Auf die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hob das BVerfG die Entscheidungen des LG und des OLG auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen des LG und des OLG verletzten den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG.

Das BVerfG hat den in der Fachgerichtsbarkeit entwickelten Begriff der "Schmähkritik" wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng definiert. Danach macht auch eine überzogene oder ausfällige Kritik eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Nur dann kann ausnahmsweise auf eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verzichtet werden.

Aus diesem Grund wird Schmähkritik bei Äußerungen zu Fragen, die die Öffentlichkeit wesentlich berühren, nur ausnahmsweise vorliegen und im Übrigen eher auf die sog. Privatfehde beschränkt bleiben. Dem genügte die Entscheidung des LG jedoch nicht. Auch in der Äußerung, es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate, ging es nicht allein um eine Verunglimpfung der Betroffenen, sondern auch um eine Auseinandersetzung, die einen sachlichen Hintergrund hat. Der Beschwerdeführer bezog sich auf das von ihm in der Dienstaufsichtsbeschwerde kritisierte Verhalten und bezweckte eine Überprüfung dieses Verhaltens durch eine übergeordnete Stelle. Es handelte sich zwar um polemische und überspitzte Kritik; diese hatte aber eine sachliche Auseinandersetzung zur Grundlage.

Soweit das LG hilfsweise dennoch eine Abwägung vorgenommen hatte, verstieß es hierbei zunächst insofern gegen die Meinungsfreiheit, als es die Äußerung des Beschwerdeführers, "es müsse verhindert werden, dass die Richterin auf eine schiefe Bahn gerate", dahingehend ausgelegt hatte, dass hiermit der betroffenen Richterin die künftige Begehung von Straftaten unterstellt wurde.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
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BVerfG PM Nr. 86 vom 2.10.2014
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