19.07.2019

Freisprüche in zwei Fällen ärztlich assistierter Selbsttötungen bestätigt

Das LG Hamburg und das LG Berlin sprachen jeweils einen angeklagten Arzt von dem Vorwurf frei, sich durch die Unterstützung von Selbsttötungen sowie das Unterlassen von Maßnahmen zur Rettung der bewusstlosen Suizidentinnen wegen Tötungsdelikten und unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht zu haben. Der BGH hat die freisprechenden Urteile bestätigt.

BGH v. 3.7.2019 - 5 StR 393/18 u.a.
Die Sachverhalte:
Im Hamburger Verfahren (5 StR 132/18) ging es um die Strafbarkeit eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie. Zwei miteinander befreundete, 85 und 81 Jahre alte suizidwillige Frauen litten an mehreren nicht lebensbedrohlichen, aber ihre Lebensqualität und persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten. Sie wandten sich an einen Sterbehilfeverein, der seine Unterstützung bei ihrer Selbsttötung von der Erstattung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zu ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit abhängig machte. Dieses Gutachten erstellte der Angeklagte, der keinen Zweifel an der Festigkeit und Wohlerwogenheit der Suizidwünsche hatte. Auf Verlangen der beiden Frauen wohnte der Angeklagte der Einnahme der tödlich wirkenden Medikamente bei.

Im Berliner Verfahren (5 StR 393/18) war der Hausarzt einer Patientin angeklagt, der er ein in hoher Dosierung tödlich wirkendes Medikament verschaffte. Die 44-jährige Frau litt seit ihrer Jungend an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke Schmerzen verursachenden Erkrankung und bat den Angeklagten um Hilfe beim Sterben. Der Angeklagte betreute die nach der Einnahme des Medikaments Bewusstlose - wie von ihr zuvor gewünscht - während ihres zweieinhalb Tage dauernden Sterbens. Hilfe zur Rettung leistete er nicht.

Die LGs sprachen die Angeklagten jeweils frei. Die Revisionen der Staatsanwaltschaften waren vor dem BGH in beiden Fällen erfolglos.

Die Gründe:
Die freisprechenden Urteile wurden bestätigt.

Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten hätte vorausgesetzt, dass die Frauen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen konnten keine die Eigenverantwortlichkeit der Suizidentinnen einschränkenden Umstände festgestellt. Deren Sterbewünsche beruhten vielmehr auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden "Lebensmüdigkeit" und waren nicht Ergebnis psychischer Störungen.

Beiden Angeklagten waren nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentinnen auch nicht zur Rettung ihrer Leben verpflichtet. Im Hamburger Verfahren hatte der Angeklagte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen verpflichten können. Die Erstellung des Gutachtens begründete schon keine Schutzpflicht für deren Leben. Im Berliner Verfahren war der Angeklagte jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grundsätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.

Eine in Unglücksfällen jedermann obliegende Hilfspflicht nach § 323c StGB wurde nicht in strafbarer Weise verletzt. Die Suizide stellten sich jeweils als Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der sterbewilligen Frauen dar. Rettungsmaßnahmen entgegen deren Willen waren nicht geboten. Am Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung nach § 217 StGB war das Verhalten der Angeklagten wegen des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht zu messen, da dieser zur Zeit der Suizide noch nicht in Kraft war. Der § 217 StGB trat am 10.12.2015 in Kraft.
BGH PM Nr 090/2019 vom 3.7.2019
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