11.07.2023

Abgrenzung zwischen spezialgesetzlicher Prospekthaftung und Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss

Der BGH hat mit den vorliegenden Beschlüssen (II ZR 57/21, II ZR 58/21 und II ZR 59/21) den Parteien mehrerer Verfahren, die die Haftung von Gründungsgesellschaftern einer Publikumskommanditgesellschaft betreffen, die Immobilieninvestments auf dem US-amerikanischen Markt plante, Hinweise zur Abgrenzung zwischen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung und der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss gegeben.

BGH v. 27.6.2023 - II ZR 57/21 u.a.
Der Sachverhalt:
Beim II. Zivilsenat des BGH sind mehrere Verfahren anhängig, die die Haftung von Gründungsgesellschaftern einer Publikumskommanditgesellschaft betreffen, die Immobilieninvestments auf dem US-amerikanischen Markt plante. Die Anleger, die sich Ende 2010 bzw. im Jahr 2011 an der Gesellschaft beteiligten, machen geltend, sie seien nicht hinreichend über kapitalmäßige bzw. personelle Verflechtungen aufgeklärt worden.

LG und OLG gaben den im Wesentlichen auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht gerichteten Klagen statt. Auf die Beschwerden der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision ließ der BGH die Revisionen zu.

Mit den vorliegenden Beschlüssen wurden die Parteien der Revisionsverfahren darauf hingewiesen, dass nach der vorläufigen rechtlichen Bewertung des II. Zivilsenats eine Haftung der geschäftsführenden Kommanditistin der Fondsgesellschaft unter dem Gesichtspunkt eines Verschuldens bei Vertragsschluss in Betracht kommt.

Die Gründe:
Der II. Zivilsenat beabsichtigt, an seiner Rechtsprechung festzuhalten, nach der im Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung eine Haftung der Altgesellschafter wegen Verletzung von Aufklärungspflichten gem. § 280 Abs. 1, 3, §§ 282, 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB nicht ausgeschlossen wird. Die mit dem Gesetz zur Verbesserung des Anlegerschutzes vom 28.10.2004 (BGBl. I S. 2630) geschaffenen spezialgesetzlichen Aufklärungspflichten und das mit ihnen verbundene Haftungsregime rechtfertigen unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des XI. Zivilsenats allerdings eine Neuausrichtung der nach der bisherigen Rechtsprechung des II. Zivilsenats bestehenden allgemeinen Aufklärungspflichten der Altgesellschafter. Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht trifft danach nur noch solche Altgesellschafter, die entweder selbst den Vertrieb der Beteiligungen an Anleger übernehmen oder in sonstiger Weise für den von einem anderen übernommenen Vertrieb Verantwortung tragen.

Vertriebsverantwortung tragen danach, soweit der Vertriebsauftrag von der Fondsgesellschaft erteilt wurde, die geschäftsführungsbefugten Altgesellschafter. Eine Altgesellschafterin trägt die Verantwortung für eine ordnungsgemäße Aufklärung der Beteiligungsinteressenten aber nicht allein deswegen, weil ihr Alleingesellschafter aufgrund eines von der Fondsgesellschaft erteilten Auftrags den Vertrieb der Beteiligungen übernommen hat. Eine personelle Verflechtung eines Altgesellschafters mit der Vertriebsgesellschaft begründet ebenfalls keine Verantwortung für den Vertrieb.

Der XI. Zivilsenat hat auf Anfrage des II. Zivilsenats mitgeteilt, dass seine Rechtsprechung, nach der die spezialgesetzliche Prospekthaftung gem. den § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31.5.2012 geltenden Fassung in ihrem Anwendungsbereich eine Haftung der Gründungsgesellschafter als Prospektveranlasser unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB ausschließt, einer an die Vertriebsverantwortung anknüpfenden Haftung der Altgesellschafter gem. § 280 Abs. 1, 3, §§ 282, 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten nicht entgegensteht.

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