05.08.2025

Anspruch auf angemessene Entschädigung: Haftung für unzulässige Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen

Ein Automobilhersteller kann sich nicht deshalb von seiner Haftung für eine unzulässige Abschalteinrichtung entlasten, weil eine EG-Typgenehmigung vorliegt. Zudem hindert das Unionsrecht weder daran, dass auf den Schadensersatzbetrag, der dem Erwerber geschuldet wird, ein Betrag angerechnet wird, der dem Vorteil der Nutzung dieses Fahrzeugs entspricht, noch, dass diese Entschädigung auf einen Betrag begrenzt wird, der 15 % des Kaufpreises entspricht, sofern diese Entschädigung eine angemessene Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden darstellt.

EuGH v. 1.8.2025 - C-666/23
Der Sachverhalt:
Die zwei klagenden Käufer von Dieselfahrzeugen des beklagten Automobilherstellers Volkswagen verlangen vor dem LG Ravensburg Schadensersatz von der Beklagten, weil diese Fahrzeuge mit einer angeblich unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet seien.

Dabei handelt es sich um eine Software, die gemeinhin als "Thermofenster" bezeichnet wird und mit der ab einer Außentemperatur von 10 °C die Abgasrückführung verringert wird. Dies hat zur Folge, dass die Stickoxidemissionen steigen. In einem der beiden Fahrzeuge war diese Software von an Anfang an eingebaut, in dem anderen wurde sie im Rahmen eines Fahrzeugsoftware-Updates aufgespielt.

In Anbetracht des Vorbringens von Volkswagen einerseits und des Urteils des BGH vom 26.6.2023 andererseits, wonach sich ein Automobilhersteller zur Entlastung von seiner Haftung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung berufen kann, hat das LG Ravensburg das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen nach der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts vorgelegt.

Die Gründe:
Ein Automobilhersteller kann sich nicht dadurch von seiner Haftung für eine unzulässige Abschalteinrichtung befreien, dass für den Fahrzeugtyp oder die Einrichtung selbst von der zuständigen nationalen Behörde eine Genehmigung erteilt wurde. Die EG-Typgenehmigung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die zuständige nationale Behörde die Einschätzung des Automobilherstellers zur angeblichen Zulässigkeit der Abschalteinrichtung bestätigt hat. Die Haftung des Automobilherstellers gilt sowohl dann, wenn die unzulässige Abschalteinrichtung bei der Herstellung des Fahrzeugs eingebaut wurde, als auch dann, wenn sie später eingebaut wurde. 

Das Unionsrecht hindert grundsätzlich nicht daran, auf den Schadensersatzbetrag, der dem Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs geschuldet wird, dem durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist, einen Betrag anzurechnen, der dem Vorteil der Nutzung dieses Fahrzeugs entspricht. Es steht es auch einer Begrenzung dieser Entschädigung auf einen Betrag, der 15 % des Kaufpreises des Fahrzeugs entspricht, nicht entgegen. Allerdings ist darauf zu achten, dass diese Entschädigung eine angemessene Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden darstellt. Es ist daher Sache des LG, ggf. zu prüfen, ob die Anrechnung des Vorteils und die fragliche Beschränkung eine solche angemessene Entschädigung gewährleisten können.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Freiheitsschutz durch Schadensersatz: Der unerwünschte Vertrag in der Diesel-Rechtsprechung des BGH
Matteo Bruno Fontana, ZIP 2024, 1940
ZIP0070238

Rechtsprechung
Schutzzweck der unionsrechtlichen Vorschriften für Typengenehmigungen von Kfz-Bauteilen betrifft allgemeine Rechtsgüter (Umwelt) sowie individuelle Einzelinteressen des Käufers ("Thermofenster)
EuGH vom 21.03.2023 - C-100/21
ZIP 2023, 699
ZIP0053640

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EuGH PM Nr. 100 vom 1.8.2025