29.06.2023

Benennung der Zwecke der Ermächtigung zur Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts

Die Benennung der Zwecke der Ermächtigung zur Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts muss nicht im Ermächtigungsbeschluss, sondern kann auch in einem nach § 203 Abs. 2 Satz 2, § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG der Hauptversammlung zugänglich zu machenden Vorstandsbericht durch eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung von Ausschlussfällen erfolgen. Beschließt die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft eine Satzungsänderung, durch die der Vorstand bei der Nutzung eines genehmigten Kapitals ermächtigt wird, über den Ausschluss des Bezugsrechts zu entscheiden, ist der entsprechend § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG zu erstellende Vorstandsbericht bei der Auslegung des Hauptversammlungsbeschlusses heranzuziehen.

BGH v. 23.5.2023 - II ZR 141/21
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital von rd. 6,4 Mio. €, das in eine entsprechende Anzahl von auf den Inhaber lautende Stückaktien ohne Nennbetrag eingeteilt ist. Klägerin und Nebenintervenientin sind Aktionäre der Beklagten. Am 10.5.2017 veröffentlichte die Beklagte im elektronischen Bundesanzeiger die Einladung zur ordentlichen Hauptversammlung am 28.6.2017. Als Tagesordnungspunkt 6 war die Beschlussfassung über die Ermächtigung des Vorstands zur Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals durch Änderung von § 5 Abs. 2 der Satzung aufgeführt, der wie folgt neu gefasst werden sollte:

"Der Vorstand ist ermächtigt, das Grundkapital der Gesellschaft mit Zustimmung des Aufsichtsrats bis zum 27.6.2022 einmalig oder mehrmalig um bis zu insgesamt € 3.215.975,00 gegen Bar- und/ oder Sacheinlagen durch Ausgabe neuer, auf den Inhaber lautender nennwertloser Stückaktien zu erhöhen (Genehmigtes Kapital 2017).

Der Vorstand ist jedoch ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen."


Der in der Einberufung zur Hauptversammlung bekanntgemachte Bericht des Vorstands zur Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts hatte u.a. folgenden Inhalt:

"Vorstand und Aufsichtsrat schlagen der Hauptversammlung die Beschlussfassung über die Schaffung eines neuen "Genehmigten Kapitals 2017" mit der Möglichkeit zum Ausschluss des Bezugsrechts durch Änderung von § 5 Abs. 2 der Satzung vor. Es soll das bisher bestehende und nicht ausgenutzte Genehmigte Kapital 2012 ablösen. Mit dem Genehmigten Kapital 2017 soll die Gesellschaft in die Lage versetzt werden, auch künftig einen entsprechenden Finanzbedarf schnell und flexibel zu decken. Der Nennbetrag des genehmigten Kapitals darf die Hälfte des Grundkapitals, das zur Zeit der Ermächtigung vorhanden ist, nicht übersteigen.

Die Aktionäre haben bei der Ausnutzung des Genehmigten Kapitals 2017 grundsätzlich ein Bezugsrecht. Die vorgeschlagene Ermächtigung sieht jedoch vor, dass der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats das Bezugsrecht der Aktionäre ausschließen kann. Gegenwärtig besteht keine konkrete Absicht der Verwaltung, von der Ermächtigung Gebrauch zu machen. Der Vorstand wird die jeweils nächste Hauptversammlung über die Ausnutzung des Genehmigten Kapitals 2017 unterrichten, sofern und soweit er künftig von der Ermächtigung Gebrauch macht.

Im Rahmen der gebotenen abstrakten Betrachtung kommt ein künftiger Einsatz des Genehmigten Kapitals 2017 u.a., aber nicht ausschließlich, in den folgenden Fällen in Betracht.

Für Spitzenbeträge

Erleichterter Bezugsrechtsausschluss i.S.d. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG

Sollte der Vorstand von der durch §§ 203 Abs. 1 und 2, 186 Abs. 3 Satz 4 AktG gegebenen Möglichkeit zum vereinfachten Bezugsrechtsausschluss Gebrauch machen, würde auf das Ermächtigungsvolumen der anteilige Betrag am Grundkapital, der auf Aktien entfällt, die seit dem Zeitpunkt der Eintragung des Genehmigten Kapitals 2017 unter Bezugsrechtsausschluss in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ausgegeben oder veräußert werden, angerechnet.

Bei einer Barkapitalerhöhung, wenn dies erforderlich erscheint, um einen höheren Ausgabekurs der Aktien zu erzielen, als er bei Gewährung des gesetzlichen Bezugsrechts möglich wäre und der Erlös dazu dient, einen akuten Finanzbedarf der Gesellschaft zu decken.

Bei Kapitalerhöhungen gegen Sacheinlagen zur Gewährung von Aktien im Rahmen des Erwerbs von Unternehmen, Unternehmensteilen oder Beteiligungen an Unternehmen oder von sonstigen Vermögensgegenständen oder zur Gewährung von Aktien im Rahmen des Erwerbs von gegen die Gesellschaft gerichteten Geldforderungen aus Lieferungen und/oder Leistungen oder aus Rückzahlungs- und/oder Zinsforderungen aus Darlehensvereinbarungen"


Die Hauptversammlung stimmte Tagesordnungspunkt 6 und der entsprechenden Satzungsänderung mit der erforderlichen Mehrheit zu. Die Klägerin nahm an der Hauptversammlung teil und erklärte Widerspruch gegen den Hauptversammlungsbeschluss. Mit ihrer Anfechtungsklage will sie den Beschluss der Hauptversammlung zu Tagesordnungspunkt 6 insoweit für nichtig erklären lassen, als der Vorstand zum Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt wurde. Hilfsweise begehrt sie, den Beschluss insgesamt für nichtig zu erklären.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte ganz überwiegend keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der von der Hauptversammlung gefasste Beschluss, mit dem der Vorstand zur Schaffung eines genehmigten Kapitals und dazu ermächtigt wurde, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen, verstößt nicht gegen Gesetz oder Satzung (§ 243 Abs. 1 AktG).

Die Hauptversammlung kann die Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre nach § 203 Abs. 2 Satz 1, Satz 2, § 186 Abs. 4 AktG im Rahmen eines genehmigten Kapitals uneingeschränkt in das pflichtgemäße Ermessen des Vorstands stellen. Die Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss, wie sie hier durch Satzungsänderung erteilt wurde, bedarf keiner abschließenden Aufführung der mit einer Ausschließung des Bezugsrechts verfolgten Zwecke. Die Benennung der Zwecke der Ermächtigung zur Ausnutzung eines genehmigten Kapitals unter Ausschluss des Bezugsrechts muss nicht im Ermächtigungsbeschluss, sondern kann auch in einem nach § 203 Abs. 2 Satz 2, § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG der Hauptversammlung zugänglich zu machenden Vorstandsbericht durch eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung von Ausschlussfällen erfolgen.

Der Senat teilt nicht die Ansicht der Revision, mit einer uneingeschränkten, im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands stehenden Ermächtigung werde dieser nicht ausreichend gebunden und erhalte einen zu großen Spielraum, um den Ausschluss des Bezugsrechts zu rechtfertigen. Für die Zulässigkeit einer uneingeschränkten, im pflichtgemäßen Ermessen des Vorstands stehenden Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts sprechen Wortlaut und Entstehungsgeschichte des § 203 Abs. 2 AktG.

Demzufolge ist der von der Beklagten unter Tagesordnungspunkt 6 gefasste Beschluss mit seiner im Vorstandsbericht gegebenen Begründung nicht zu beanstanden. Der Beschluss umfasst die im Vorstandsbericht genannten Beispielsfälle und bindet die Verwaltung bei der Ausübung der Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts. Beschließt die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft eine Satzungsänderung, wonach der Vorstand bei der Nutzung eines genehmigten Kapitals ermächtigt wird, über den Ausschluss des Bezugsrechts zu entscheiden, ist der entsprechend § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG zu erstellende Vorstandsbericht bei der Auslegung des Hauptversammlungsbeschlusses heranzuziehen.

Danach kann der Bericht des Vorstands der Beklagten zur Auslegung des Beschlusses über die Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts herangezogen werden. Der Bericht war in der Einladung zur Hauptversammlung bekannt gemacht worden, die der Notar als Anlage zur Niederschrift über die Hauptversammlung vom 28.6.2017 mit aufgenommen hat.

Mehr zum Thema:

Aufsatz:
Veröffentlichung des Berichts zum Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG
Wolfgang Groß, AG 2022, 693

Kommentierung | AktG
§ 203 Ausgabe der neuen Aktien
Veil in K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2020

Kommentierung | AktG
§ 186 Bezugsrecht
Veil in K. Schmidt/Lutter, Aktiengesetz, 4. Aufl. 2020

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