17.10.2025

Brexit-Abkommen: Anwendung des Art. 18 Abs. 1 EuGVVO nach Ablauf der Übergangsfrist bei Beklagtem mit Sitz in Großbritannien

Das Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Brexit-Abkommen) i.V.m. Art. 216 AEUV steht nach dem Ablauf der Übergangsfrist (Art. 126 AA) der Anwendung des Art. 18 Abs. 1 EuGVVO im Klageverfahren gegen einen Beklagten mit Sitz in Großbritannien nicht entgegen.

BGH v. 7.10.2025 - II ZR 112/24
Der Sachverhalt:
Die Klägerin zeichnete im Oktober 2007 eine Genussrechtsbeteiligung an der D. AG, der nach Zustimmung der Klägerin die Genussrechtsbedingungen der T. AG zugrunde lagen. Die T. AG wurde nach zwischenzeitlicher Umwandlung in eine GmbH mit Wirkung zum 31.12.2018 auf die in London ansässige Beklagte verschmolzen. Mit Schreiben vom Februar 2019 wurde die Klägerin über die Verschmelzung informiert wie auch darüber, dass sich ihre Genussrechte in B-Anteile gewandelt hätten. Der Wert der Genussrechte/-scheine zum 31.12.2018 wurde mit rd. 7.400 € angegeben. Mit Schreiben vom 9.5.2019 erklärte die Klägerin die außerordentliche fristlose Kündigung ihrer Genussrechtsbeteiligungen und forderte die Rückzahlung von rd. 7.400 €. Die im November 2022 eingereichte Klage wurde im Januar 2023 zugestellt. 

Das LG gab der Klage statt und verurteilte die Beklagte, an die Kläger rd. 7.400 € zzgl. Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLg auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das LG München I ist international und örtlich zuständig für die Entscheidung über die Klage.

Im Gegensatz zur Auffassung des OLG ist die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit und die örtliche Zuständigkeit des LG München I aus Art. 18 Abs. 1 2. Halbsatz EuGVVO gegeben. Art. 18 Abs. 1 2. Halbsatz EuGVVO ist anwendbar. Art. 6 Abs. 1 EuGVVO bestimmt, dass sich vorbehaltlich des Art. 18 Abs. 1 EuGVVO die Zuständigkeit eines Gerichts eines jeden Mitgliedsstaates nach dessen eigenem Recht richtet, wenn ein Beklagter keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats der EU hat. Die Klägerin ist Verbraucher i.S.d. Art. 18 Abs. 1 2. Halbsatz EuGVVO. Die Voraussetzungen für eine Verbrauchersache nach Art. 17 Abs. 1 c EuGVVO liegen vor. Da die Klägerin ihren Wohnsitz in Deutschland hat und die Beklagte ihren Verwaltungssitz in Großbritannien, das nicht (mehr) der EU angehört, ist die deutsche Gerichtsbarkeit international zuständig und der Wohnort der Klägerin zugleich maßgebend für die örtliche Zuständigkeit.

Im Gegensatz zur Auffassung des OLG steht der Anwendung des Art. 18 EuGVVO das Brexit-Abkommen i.V.m. Art. 216 AEUV nicht entgegen. Nach Art. 216 Abs. 1 AEUV kann die EU mit Drittländern Vereinbarungen schließen, die die Organe der Union und die Mitgliedsstaaten binden. Nach Art. 126 AA war ein Übergangs- oder Durchführungszeitraum bestimmt nach Austritt des Königreichs Großbritannien und Nordirlands aus der EU, der bis zum 31.12.2020 reichte. Nach Art. 127 Abs. 1 AA galt das Unionsrecht während des Übergangszeitraums auch im Vereinigten Königreich. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift entfaltete das Unionsrecht für das Vereinigte Königreich die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedsstaaten und sollte nach denselben Methoden und allgemeinen Grundsätzen ausgelegt und verwendet werden. Eine weitere Fortgeltung der EuGVVO ist in Art. 67 Abs. 2a AA für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen enthalten, die in einem vor dem Ablauf der Übergangszeit eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergangen sind.

Das Vereinigte Königreich ist infolge seines Austritts aus der EU und des Ablaufs des in Art. 126 AA vorgesehenen Übergangszeitraums seit dem 31.12.2020 kein Mitgliedsstaat der EU mehr, sondern ein Drittstaat. Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU berührt für sich genommen die Anwendbarkeit der EuGVVO in den Mitgliedsstaaten der EU und deshalb auch in Deutschland grundsätzlich nicht. Etwas Anderes könnte sich nur ergeben, wenn dem Austrittsabkommen eine Regelung zu entnehmen wäre, dass Bestimmungen der EuGVVO und hier insbesondere des Art. 18 EuGVVO im Verhältnis zu Großbritannien als Drittstaat nicht anzuwenden seien. Hiervon geht das OLG aus. Ein Anhalt für eine solche Vertragsregelung findet sich im Austrittsabkommen jedoch nicht. Vielmehr sieht das Austrittsabkommen Großbritannien nach Austritt im Verhältnis zur EU als Drittstaat an. Dass mit dem Austrittsabkommen eine Regelung getroffen werden sollte, die Verbraucher mit Wohnsitz innerhalb der EU gegenüber Gewerbetreibenden mit Sitz im Vereinigten Königreich schlechter stellt, als gegenüber jedem anderen Drittstaat, weil die Regelungen der EuGVVO in den Mitgliedstaaten zu Gunsten der Verbraucher im Gegensatz zu allen anderen Drittstaaten in Großbritannien nicht anwendbar sein sollen, ist nicht ersichtlich.

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AG 2025, 255
AG0072154

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