Gleichzeitiges Vorliegen einer Handelssache und einer insolvenzrechtlichen Streitigkeit
KG Berlin v. 16.4.2025 - 2 UH 12/25
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH (Schuldnerin). Der Antragsgegner zu 1) war Geschäftsführer und der Antragsgegner zu 2) Gesellschafter der Schuldnerin. Bei den Kammern für Handelssachen des LG Berlin II beantragte der Antragsteller die Bewilligung von PKH für eine gegen die Antragsgegner beabsichtigte Klage. Der Antragsgegner zu 1) soll als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin wegen Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (§§ 43, 64 S. 1 GmbHG a.F.) und der Antragsgegner zu 2) als Gesellschafter wegen der Verletzung des Kapitalerhaltungsgebots (§§ 30, 31 GmbHG) in Anspruch genommen werden.
Die angerufene Kammer für Handelssachen 105 des LG veranlasste die Bekanntgabe des PKH-Antrags an die Antragsgegner. Nach dem Austausch einer Reihe weiterer Schriftsätze zwischen den Parteien wies der Vorsitzende der Kammer schließlich auf Bedenken gegen die funktionelle Zuständigkeit hin und legte dem Antragssteller nahe, den im Entwurf der Klageschrift gestellten Antrag nach § 96 GVG zurückzunehmen. Bei einer auf § 64 S. 1 GmbHG a.F. gestützten Klage handele es sich nicht eine gesellschaftsrechtliche Binnenstreitigkeit i.S.v. § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG sondern um eine insolvenzrechtliche Streitigkeit nach § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG.
Der von der Kammer für Handelssachen geäußerten Rechtsauffassung traten sowohl der Antragsteller als auch beide Antragsgegner entgegen. Der Antragsteller erklärte jedoch in der Folge, dass ausschließlich aus Gründen der anwaltlichen Vorsicht der im Entwurf der Klageschrift gestellte Antrag nach § 96 GVG für den Fall zurückgenommen werde, dass die Kammer bei ihrer Auffassung verbleiben sollte. Die Kammer für Handelssachen erklärte sich hierauf für unzuständig und verwies den Rechtsstreit von Amts wegen an die funktionell zuständige Zivilkammer. Die von dem Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung habe vor der Kammer für Handelssachen bereits deshalb keine Aussicht auf Erfolg, weil deren funktionelle Zuständigkeit für die beabsichtigte Klage aufgrund der Rücknahme des erforderlichen Antrags nach § 96 ZPO nicht mehr gegeben sei.
Die daraufhin mit dem Verfahren befasste Zivilkammer 25, die nach dem Geschäftsverteilungsplan des LG als Kammer für insolvenzrechtliche Streitigkeiten nach § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG fungiert, sieht sich durch die Verweisung in ihrer Zuständigkeit nicht gebunden, erklärte sich ebenfalls für funktionell unzuständig und legte die Sache dem KG zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers vor. Das KG bestimmte die Kammern für Handelssachen des LG Berlin II als für das PKH-Verfahren funktionell zuständige Spruchkörper.
Die Gründe:
Die Kammern für Handelssachen sind für das PKH-Verfahren funktionell zuständig. Bei Ansprüchen einer GmbH gegen ihren Geschäftsführer nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. (jetzt § 15b Abs. 4 S. 1 InsO) aufgrund von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife handelt es sich nach allgemeiner und - soweit ersichtlich - bislang unbestrittener Auffassung um eine Streitigkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG, für die die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründet ist.
Es trifft zwar zu, dass die in § 64 S. 1 GmbHG a.F. und § 15b Abs. 4 S. 1 InsO normierten Ansprüche im Regelfall durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden und auch im Hinblick auf ihre materiellen Voraussetzungen (Eintritt der Insolvenzreife) insolvenzrechtlich geprägt sind. Aus diesem Grund fallen sie nach dem Willen des Gesetzgebers auch unter die gesetzliche Sonderzuständigkeit nach § 72a Abs. 1 Nr. 7 GVG. Ihre gleichzeitige Qualifikation als gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten nach § 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG lässt dies jedoch unberührt. Soweit sowohl die Voraussetzungen einer gesetzlichen Sonderzuständigkeit nach § 72a GVG als auch nach § 95 Abs. 1 GVG vorliegen, wie dies etwa auch bei baurechtlichen Streitigkeiten (§ 72a Abs. 1 Nr. 2 GVG bzw. § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG) häufig der Fall ist, steht den Parteien daher ein Wahlrecht zu, welches sie durch die Antragstellung nach §§ 96 Abs. 1, 98 Abs. 1 GVG nach ihrem Belieben ausüben können.
Die funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen für die Entscheidung über den PKH-Antrag ist schließlich auch nicht dadurch entfallen, dass der Antragsteller den im Entwurf der Klageschrift gestellten Antrag nach § 96 GVG für den Fall zurückgenommen hat, dass sich die Kammer für funktionell unzuständig halten sollte. Mit dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz hat der Antragsteller bzgl. der beantragten PKH eine Entscheidung durch die Kammer für Handelssachen beantragt. Hierfür genügt die Adressierung des Schriftsatzes an die Kammer für Handelssachen. Bei dem Antrag nach § 96 GVG handelt es jedoch um einen Prozessantrag, der nach allgemeiner Auffassung nicht zurückgenommen werden kann. Denkbar wäre lediglich eine Rücknahme des Antrags auf Bewilligung von PKH als solchem, etwa um diesen Antrag bei den Zivilkammern des LG neu einzureichen, wofür vorliegend jedoch nichts ersichtlich ist.
Eine Rücknahme des Antrags nach § 96 GVG für das Klageverfahren liegt ebenfalls nicht vor. Eine solche "Rücknahme" im eigentlichen Sinne kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsteller einen entsprechenden Antrag bislang noch gar nicht stellen konnte, weil die Klage bislang nur angekündigt ist und die Klageschrift lediglich im Entwurf vorliegt. Richtig ist allerdings, dass die Kammer für Handelssachen PKH für eine vor der allgemeinen Zivilkammer zu erhebende Klage mangels Zuständigkeit (§§ 117 Abs. 1 S. 1, 127 Abs. 1 S. 2 ZPO) nicht bewilligen könnte. Die auf Anraten der Kammer für Handelssachen erfolgte "Rücknahme" des Antrags nach § 96 ZPO in dem eingereichten Entwurf der Klageschrift dürfte allerdings dahin zu verstehen sein, dass sie nur für den Fall gelten sollte, dass das PKH-Verfahren tatsächlich (wirksam) an eine allgemeine Zivilkammer verwiesen wird.
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Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH (Schuldnerin). Der Antragsgegner zu 1) war Geschäftsführer und der Antragsgegner zu 2) Gesellschafter der Schuldnerin. Bei den Kammern für Handelssachen des LG Berlin II beantragte der Antragsteller die Bewilligung von PKH für eine gegen die Antragsgegner beabsichtigte Klage. Der Antragsgegner zu 1) soll als Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin wegen Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (§§ 43, 64 S. 1 GmbHG a.F.) und der Antragsgegner zu 2) als Gesellschafter wegen der Verletzung des Kapitalerhaltungsgebots (§§ 30, 31 GmbHG) in Anspruch genommen werden.
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Der von der Kammer für Handelssachen geäußerten Rechtsauffassung traten sowohl der Antragsteller als auch beide Antragsgegner entgegen. Der Antragsteller erklärte jedoch in der Folge, dass ausschließlich aus Gründen der anwaltlichen Vorsicht der im Entwurf der Klageschrift gestellte Antrag nach § 96 GVG für den Fall zurückgenommen werde, dass die Kammer bei ihrer Auffassung verbleiben sollte. Die Kammer für Handelssachen erklärte sich hierauf für unzuständig und verwies den Rechtsstreit von Amts wegen an die funktionell zuständige Zivilkammer. Die von dem Antragsteller beabsichtigte Rechtsverfolgung habe vor der Kammer für Handelssachen bereits deshalb keine Aussicht auf Erfolg, weil deren funktionelle Zuständigkeit für die beabsichtigte Klage aufgrund der Rücknahme des erforderlichen Antrags nach § 96 ZPO nicht mehr gegeben sei.
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