30.09.2025

Haftungsvergleiche im Dieselskandal

Der Beschluss der Hauptversammlung der Volkswagen AG über die Zustimmung zu einem Deckungsvergleich mit D&O-Versicherern im sog. "Dieselskandal" war für nichtig zu erklären. Soweit die Vorinstanz die Anfechtbarkeit der den Haftungsvergleichen zustimmenden Beschlüsse gem. § 243 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AktG wegen einer Verletzung des Fragerechts nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 COVMG a.F. verneint hatte, hielt dies einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann nicht angenommen werden, dass die verlangte Auskunft zu den Vermögensverhältnissen der ehemaligen Mitglieder des Vorstands für die Ausübung der Aktionärsrechte im Rahmen der Entscheidung über die Zustimmung zu den Haftungsvergleichen nicht wesentlich war.

BGH v. 30.9.2025 - II ZR 154/23
Der Sachverhalt:
Die beklagte Volkswagen AG schloss im Juni 2021 Haftungsvergleiche mit ihrem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden und einem ehemaligen Vorstandsmitglied sowie darauf bezogene Deckungsvergleiche mit D&O-Versicherern zur Abgeltung und Erledigung möglicher Schadensersatzansprüche und darauf beruhender Deckungsansprüche gegen die Versicherer. Die Beklagte war auf der Grundlage eines Untersuchungsberichts und weiterer Prüfungen zu dem Ergebnis gelangt, dass die beiden vormaligen Vorstandsmitglieder ihre Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit dem "Dieselskandal" fahrlässig verletzt hätten, weil sie Anhaltspunkte für den Einsatz unzulässiger Softwarefunktionen von Dieselmotoren nicht zum Anlass einer unverzüglichen Aufklärung genommen hätten. 

Die Vergleiche sahen als Eigenbeiträge bezeichnete Zahlungen der ehemaligen Vorstandsmitglieder i.H.v. 11,2 Mio. € bzw. 4,1 Mio. € und Zahlungen der D&O-Versicherer i.H.v. rd. 270 Mio. € vor. Die Volkswagen AG verpflichtete sich ihrerseits, die beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder von bestimmten Ansprüchen freizustellen, welche Dritte im Zusammenhang mit dem relevanten Sachverhalt gegen diese geltend machen könnten. In dem Deckungsvergleich verpflichtete sie sich zudem, näher bestimmte sonstige Personen, darunter sämtliche weitere ehemaligen oder amtierenden Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats, dauerhaft nicht mehr in Anspruch zu nehmen.

Die Hauptversammlung der Volkswagen AG stimmte den Vergleichsvereinbarungen am 22.7.2021 mit Mehrheiten von über 99 % zu. Die Kläger sind Kapitalanlegerschutzvereinigungen. Sie erklärten als Aktionäre der Volkswagen AG gegen die Zustimmungsbeschlüsse Widerspruch zur Niederschrift. Die Kläger wenden sich u.a. gegen die Zustimmungsbeschlüsse und meinen, diese seien nichtig, jedenfalls aber anfechtbar.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision der Kläger und ihres Streithelfers hatte in wesentlichen Punkten Erfolg.

Die Gründe:
Die Zustimmungsbeschlüsse sind zwar nicht wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Rückgewähr von Einlagen (§ 57 Abs. 1 AktG) nichtig und die Beschlüsse verstoßen auch nicht gegen § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG, weil die dort bestimmte Sperrfrist von drei Jahren nicht eingehalten wurde. Der Beschluss über die Zustimmung zum Deckungsvergleich ist aber wegen eines Gesetzesverstoßes anfechtbar und für nichtig zu erklären. 

In der Tagesordnung, die in der Einberufung zur Hauptversammlung angegeben war, wurde nicht den Anforderungen des § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG entsprechend mitgeteilt, dass mit dem Deckungsvergleich ein Verzicht gegenüber sämtlichen amtierenden und ausgeschiedenen Organmitgliedern der Beklagten verbunden war, der nach § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG bzw. § 117 Abs. 4, § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG der Zustimmung der Hauptversammlung bedurfte. Die diesbezüglichen Angaben in dem Bericht des Vorstands genügen nicht, da sie nicht mehr Teil der in der Einberufung angegebenen Tagesordnung waren. Der durchschnittliche Aktionär musste nicht damit rechnen, dass die Informationen zu einer Beschlussfassung über einen Verzicht gegenüber einer Vielzahl weiterer Organmitglieder in den weiteren Informationen zu den betreffenden Tagesordnungspunkten enthalten waren.

Soweit das OLG die Anfechtbarkeit der den Haftungsvergleichen zustimmenden Beschlüsse gem. § 243 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AktG wegen einer Verletzung des Fragerechts nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 COVMG a.F. verneint hat, hielt dies einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung konnte nicht angenommen werden, dass die verlangte Auskunft zu den Vermögensverhältnissen der ehemaligen Mitglieder des Vorstands für die Ausübung der Aktionärsrechte im Rahmen der Entscheidung über die Zustimmung zu den Haftungsvergleichen nicht wesentlich war. Insoweit war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen.

Der Bericht des Aufsichtsrats und des Vorstands gibt als wesentlichen Grund für den Abschluss der Vergleichsvereinbarungen u.a. an, die finanzielle Leistungsfähigkeit der in Anspruch genommenen Personen erreiche auch unter Berücksichtigung der Versicherungssumme bei weitem nicht die diesen Personen aus Sicht der Gesellschaft zurechenbaren Schäden. Auskünfte zur Vermögenslage der in Anspruch genommenen ehemaligen Mitglieder des Vorstands waren zumindest insoweit für eine informierte Entscheidung über die Zustimmung erforderlich, als es darum ging, diese Beurteilung nachzuvollziehen. Die erteilten Auskünfte insbesondere zu den bezogenen Einkommen genügen hierfür nicht, weil sich aus diesen Angaben nicht erschließt, in welchem Umfang etwaige Haftungsansprüche durch eigenes Vermögen der ehemaligen Vorstandsmitglieder gedeckt gewesen wären. 

Der BGH konnte auf der Grundlage der Feststellungen nicht zuverlässig ableiten, ob die im Bericht des Vorstands und des Aufsichtsrats wiedergegebene Annahme unter Berücksichtigung der in der Hauptversammlung erteilten Auskünfte hinreichend erläutert wurde.

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