29.12.2021

Insolvenz des Musterrechtsbeschwerdeführers

Wird über das Vermögen des Musterrechtsbeschwerdeführers ein Insolvenzverfahren eröffnet, bestimmt das Rechtsbeschwerdegericht entsprechend § 21 Abs. 4, § 13 Abs. 1 Fall 2, § 9 Abs. 2 KapMuG einen neuen Musterrechtsbeschwerdeführer.

BGH v. 23.11.2021 - XI ZB 23/20
Der Sachverhalt:
Die Musterbeklagten haben mit Schriftsatz vom 16.1.2020 Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 15.4.2020 begründet haben. Mit Beschluss vom 11.2.2020 ist die T. GmbH (die bisherige Musterbeklagte zu 1) zur Musterrechtsbeschwerdeführerin bestimmt worden. Über das Vermögen der bisherigen Musterbeklagten zu 1) ist durch Beschluss des AG Hamburg am 16.12.2020 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Mit Schriftsatz vom 19.5.2021 hat der Musterkläger die Bestimmung eines neuen Musterrechtsbeschwerdeführers beantragt. Der Musterbeklagte zu 2) hat sich mit Schriftsatz vom 26.8.2021 als neuer Musterrechtsbeschwerdeführer bereit erklärt. Der Musterkläger hat sich mit Schriftsatz vom 25.8.2021 für den Musterbeklagten zu 3) als neuen Musterrechtsbeschwerdeführer ausgesprochen.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Musterbeklagte zu 2) wird entsprechend § 21 Abs. 4, § 13 Abs. 1 Fall 2, § 9 Abs. 2 KapMuG als neuer Musterrechtsbeschwerdeführer bestimmt.

Das KapMuG enthält keine Regelung für den Fall, dass im Rechtsbeschwerdeverfahren über das Vermögen des Musterrechtsbeschwerdeführers ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Dabei handelt es sich um eine planwidrige Gesetzeslücke. Denn die Regelungen zur Bestimmung des Musterrechtsbeschwerdeführers sind gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig. Dies gilt sowohl für den Musterrechtsbeschwerdeführer auf Musterklägerseite als auch für den Musterrechtsbeschwerdeführer auf Musterbeklagtenseite.

Im Musterverfahren erster Instanz wird unter den Klägern, deren Verfahren nach § 8 Abs. 1 KapMuG ausgesetzt wurden, ein Musterkläger bestimmt. Die Kläger, die nicht als Musterkläger ausgewählt werden, sind Beigeladene des Musterverfahrens (§ 9 Abs. 3 KapMuG). Daraus folgt, dass eine Regelung für die Fälle erforderlich ist, in denen zu befürchten ist, dass der Musterkläger das Musterverfahren unter Berücksichtigung der Interessen der Beigeladenen nicht mehr angemessen führen kann. Diese Regelung hat der Gesetzgeber in § 13 Abs. 1 und 2 KapMuG getroffen. § 13 Abs. 1 KapMuG sieht vor, dass das OLG nach Maßgabe des § 9 Abs. 2 KapMuG einen neuen Musterkläger bestimmt, wenn der Musterkläger im Laufe des Musterverfahrens seine Klage im Ausgangsverfahren zurücknimmt oder über das Vermögen des Musterklägers ein Insolvenzverfahren eröffnet wird.

Durch die Konzentration auf nur einen Musterrechtsbeschwerdeführer besteht wie im Musterverfahren erster Instanz die Notwendigkeit, eine Regelung für den Fall vorzusehen, dass in der Person des Musterrechtsbeschwerdeführers ein Unterbrechungs- oder Aussetzungsgrund eintritt. Denn ansonsten könnte es auch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu Verzögerungen kommen oder dazu, dass eine interessengerechte Vertretung der übrigen Beteiligten auf der Musterklägerseite gefährdet ist. Eine derartige Regelung fehlt jedoch für das Rechtsbeschwerdeverfahren. § 21 Abs. 4 KapMuG sieht lediglich eine Neubestimmung des Musterrechtsbeschwerdeführers entsprechend § 13 Abs. 1 KapMuG aus dem Kreis der Beteiligten, die dem Rechtsbeschwerdeverfahren auf der Seite des Musterrechtsbeschwerdeführers beigetreten sind, für den Fall vor, dass der bisherige Musterrechtsbeschwerdeführer seine Rechtsbeschwerde zurücknimmt.

Dass der Gesetzgeber damit eine abschließende Regelung für die Neubestimmung des Musterrechtsbeschwerdeführers schaffen wollte, ist nicht anzunehmen. Mit der Bestimmung des § 21 Abs. 4 KapMuG wollte der Gesetzgeber den Rechtsgedanken der Regelung des § 15 Abs. 3 Satz 2 KapMuG in der Fassung vom 16.8.2005 aufgreifen und verhindern, dass der Musterbeklagte den Musterrechtsbeschwerdeführer durch eine finanzielle Gegenleistung den Interessen der Beigeladenen zuwider zum Rechtsmittelverzicht bewegt. Er hat somit einen nur im Rechtsbeschwerdeverfahren auftretenden Sonderfall geregelt, der jedoch wie die in § 13 Abs. 1 und 2 KapMuG aufgeführten Fälle dadurch gekennzeichnet ist, dass eine die Interessen der übrigen Beteiligten wahrende Prozessführung durch die Musterpartei nicht mehr gewährleistet erscheint. Bereits dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber an der Regelung des § 13 Abs. 1 und 2 KapMuG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren festhalten und diese lediglich um einen weiteren Fall ergänzen wollte. Der Gesetzgeber hat in der Begründung ausgeführt, dass der Musterkläger sofern er Rechtsbeschwerde einlegt seine Rolle als Vertreter der übrigen Kläger der Ausgangsverfahren gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auch im Rechtsbeschwerdeverfahren fortsetzt. Auch dies weist darauf hin, dass die Regelung des § 13 Abs. 1 und 2 KapMuG, die sich gerade auf die Ausfüllung dieser Rolle des Musterklägers bezieht, im Rechtsbeschwerdeverfahren fortgelten sollte.

Die Vorschrift des § 13 Abs. 1 und 2 KapMuG sollte die Regelungen des § 11 Abs. 2 KapMuG in der Fassung vom 16.8.2005 (a.F.) unverändert. Diese Vorschrift wiederum sah vor, dass "das Gericht" über die Neubestimmung des Musterklägers entscheidet, was sowohl das Oberlandesgericht als auch das Rechtsbeschwerdegericht umfasste. Denn in den anderen Vorschriften war ausdrücklich entweder das "Oberlandesgericht" oder das "Rechtsbeschwerdegericht" als zur Entscheidung berufenes Gericht aufgeführt. Zudem beinhaltet der Abschnitt zur "Durchführung des Musterverfahrens" in den jeweiligen Gesetzesfassungen sowohl die Vorschriften zum Verfahren erster Instanz vor dem Oberlandesgericht als auch zum Verfahren vor dem Rechtsbeschwerdegericht, so dass der Begriff des Musterverfahrens aus Sicht des Gesetzgebers beide Instanzen umfasst. Auch dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber mit der Bezeichnung "Gericht" in § 11 Abs. 2 KapMuG a.F. sowohl dem Oberlandesgericht als auch dem Rechtsbeschwerdegericht in den aufgeführten Fällen die Befugnis zur Neubestimmung des Musterklägers geben wollte. Die Gesetzeslücke kann sachgerecht durch eine entsprechende Anwendung von § 21 Abs. 4, § 13 Abs. 1 Fall 2, § 9 Abs. 2 KapMuG geschlossen werden, indem das Rechtsbeschwerdegericht einen neuen Musterrechtsbeschwerdeführer bestimmt, wenn über das Vermögen des bisherigen Musterrechtsbeschwerdeführers ein Insolvenzverfahren eröffnet wird.

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