16.11.2021

Kein Schadensersatz gegen Überwachungs- und Prüfstellen infolge des sog. "Wirecard-Skandals"

Zwar ist der Anlegerschutz auch im Rahmen der Kapitalaufsicht vorgesehen, jedoch folgen hieraus noch keine qualifizierten Pflichten den Anlegern gegenüber. Der Anlegerschutz ist daher nicht individualisiert zu verstehen. Allein der Umstand, dass Mitarbeiter Überwachungsstelle Aktien der Wirecard-AG besessen haben, vermag ein sittenwidriges Verhalten noch nicht zu begründen.

LG Wuppertal v. 10.9.2021 - 2 O 441/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte am 30.3.2020 und 28.4.2020 jeweils 100 Aktien der Wirecard-AG für rund 20.806 € erworben. Die Beklagte zu 1.) ist Finanzaufsichtsbehörde, die Beklagte zu 2.) ist ein privatrechtlicher Verein zu Überprüfung von Jahresabschlüssen. Bei der Wirecard-AG handelt es sich um einen börsennotierten Zahlungsabwickler und Finanzdienstleister, der der Finanzaufsicht und der Bilanzkontrolle durch die Beklagte zu 1.) unterliegt. Die Jahresabschlüsse werden zunächst durch die Beklagte zu 2.) geprüft. Sofern im Rahmen dieser Prüfung konkrete Anhaltspunkte für Verstöße gegen die Rechnungslegungsvorschriften vorliegen, kann eine Prüfung durch die Beklagte zu 1.) eingeleitet werden. Zudem obliegt der Beklagten zu 1.) die Marktmissbrauchsüberwachung, wobei auffällige Transaktionen beobachtet und bewertet werden, u.a. sind Leerverkaufs-/ Short-Attacken zu verhindern.

In den Jahren 2015 bis 2019 kam es wiederholt zu kritischer Berichterstattung im Zusammenhang mit der Wirecard-AG in den Medien. Die Beklagte zu 1.) leitete daraufhin Marktmanipulationsverfahren ein. Im Jahr 2019 wurden zudem Maßnahmen gegen die Wirecard-AG - u.a. die Prüfung der Jahresabschlüsse durch die Beklagte zu 2.) und die Verhängung eines Bußgeldes über 1,52 Mio € - ergriffen. Die Wirecard-AG beauftragte in diesem Zusammenhang eine Sonderprüfung, die in einem Bericht der KPMG vom 28.4.2020 mündete. Die Beklagte zu 1.) leitete umgehend ein weiteres Markmanipulationsverfahren ein und erstattete wegen falscher ad-hoc Mitteilungen am 12.3.2020 und 22.4.2020 Strafanzeige.

Im Zuge der vorgenannten Geschehnisse erschienen erstmals Berichte über Fälschung von Kontenbestätigungen. Am 18.6.2020 wurde der Konzernabschluss für das Jahr 2019 verschoben, da ein Betrag von 1,9 Mrd. € nicht hinreichend belegt war, am 22.6.2020 erfolgte die Mitteilung, dass das Guthaben höchstwahrscheinlich nicht vorhanden sei und Drittpartnergeschäfte wahrscheinlich fingiert wurden. Daraufhin brach der Kurs der Wirecard Aktien zunächst um 40% ein, die Wirecard-AG meldete Insolvenz an und die Aktien sind inzwischen nahezu wertlos geworden.

Der Kläger behauptete, dass die Beklagte zu 1.) ihren Pflichten bezüglich der Marktmissbrauchsüberwachung nicht ausreichend nachgekommen sei. Es seien lediglich einseitige Ermittlungen erfolgt, die sich gegen unabhängige Journalisten gerichtet hätten. Dies sei auch darauf zurückzuverfolgen, dass Mitarbeiter der Beklagten zu 1.) selbst Aktien der Wirecard-AG erworben hätten. Die Beklagte zu 2.) sei ihren Pflichten ebenfalls nicht in einem ausreichenden Maß nachgekommen. Lediglich ein Mitarbeiter sei mit der Prüfung betraut gewesen und der Vereinsvorstand sei in diversen Dax-Unternehmen aktiv.

Der Kläger war der Ansicht, dass eine drittbezogene Amtspflicht verletzt sei, die Haftungsfreistellung gem. § 4 Abs. 4 FinDAG greife nicht ein. Das LG wies auf Schadensersatz ab.

Die Gründe:
Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu 1.) aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen der Beklagten im Aufsichtsrecht zu.

Vorliegend ist ein Drittbezug im Hinblick auf die Normen des Kapitalaufsichtsrechts nicht festzustellen. § 4 Abs. 4 FinDAG bestimmt, dass die von der Beklagten zu 1.) wahrgenommenen Interessen und Befugnisse allein im öffentlichen Interesse liege. Privatrechtliche Ansprüche sind von der Beklagten zu 1.) nicht zu prüfen. Zwar ist der Anlegerschutz auch im Rahmen der Kapitalaufsicht vorgesehen, jedoch folgen hieraus noch keine qualifizierten Pflichten den Anlegern gegenüber. Der Anlegerschutz ist daher nicht individualisiert zu verstehen.

Dem stehen die Erwägungen zum BilKonG nicht entgegen. Damit wurde u.a. die Regelung zur Bilanzierungsprüfung ins HGB eingeführt. Mit dem abgestuften System sollte das Vertrauen in den Kapitalmarkt gestärkt werden und in einem gewissen Umfang ein Anlegerschutz eingeführt werden. Erst wenn die betroffenen Unternehmen ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, besteht eine Eingriffsbefugnis der Aufsichtsbehörde. Dieser Anlegerschutz ist jedoch nicht als individueller Anlegerschutz zu verstehen, sondern dient dem kollektiven Anlegerinteresse. Das Ziel dieser abgestuften Kontrolle ist ausweislich der gesetzgeberischen Erwägungen in der Förderung des Kapitalmarktes und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu erblicken, auch wenn der Anlegerschutz jedenfalls als Zwischenziel formuliert wurde. Gleichwohl ist hieraus kein individueller Drittschutz zu folgern.

Schließlich greift auch keine Ausnahme unter dem Aspekt des Amtsmissbrauchs ein. Allein der Umstand, dass Mitarbeiter der Beklagten zu 1.) Aktien der Wirecard-AG besessen haben, vermag ein sittenwidriges Verhalten noch nicht zu begründen. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Mitarbeiter der Beklagten zu 1.) auf Grund der angeblichen Pflichtverstöße nicht an dem Wertverfall der Aktien teilgenommen haben.

Letztlich scheidet auch ein Anspruch gegen die Beklagte zu 2.) nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG aus. Die Beklagte zu 2.) ist weder Amtsträger noch Beliehene. Sie ist auch kein Verwaltungshelfer der Beklagten zu 1.), Sie tritt nicht als verlängerter Arm des Staates auf und ist insofern weisungsabhängig, sondern nimmt die Prüfungen selbstständig vor.
Justiz NRW
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