05.09.2022

Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund nach Verschmelzung auf Seiten des anderen Vertragspartners

Die Verschmelzung also solche stellt keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 314 Abs. 1 BGB dar. Hierfür bedarf es besonderer Umstände, die die weitere Erbringung der Dienste durch den übernehmenden Rechtsträger unzumutbar machen; insoweit sind allerdings keine hohen Anforderungen zu stellen. Ob ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliegt, ist aus der Sicht des betroffenen Unternehmers zu beurteilen. Seine unternehmerische Entscheidung ist der Überprüfung durch die Gerichte auf ihre sachliche Rechtfertigung und Zweckmäßigkeit grundsätzlich entzogen, solange sich das unternehmerische Handeln nicht als willkürlich darstellt.

OLG München v. 29.8.2022 - 33 U 4846/21
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Vergütung im Zusammenhang mit einem Beratungsvertrag sowie einer "Interessentenanalyse" für ein Fitnessstudio. Die G. M. S. GmbH schloss mit der Beklagten am 16.6.2016 einen Vertrag über eine "Interessenten-Analyse". Vertragsbeginn war der 1.7.2016, als Vergütung waren rd. 300 € netto/Jahr vereinbart. Die Vertragslaufzeit betrug 12 Monate und verlängerte sich um jeweils weitere 12 Monate, wenn der Vertrag nicht bis 3 Monate vor Vertragsende schriftlich gekündigt wurde. Am 23.4.2018 schlossen G. M. S. GmbH und die Beklagte einen "Beratungsvertrag - Erfolgspakete". Vertragsbeginn war der 1.5.2018, die Vergütung betrug rd. 1.500 € brutto/Monat, die Laufzeit 36 Monate. Die Regelung über die Vertragslaufzeit sieht u.a. vor, dass sämtliche Honorare bis zum Vertragsende "automatisch" fällig werden, wenn der Vertragspartner mit zwei Monatsbeiträgen schuldhaft in Verzug kommt.

Die Beklagte kündigte außerordentlich mit Schreiben vom 5. bzw. 8.4.2019 und gab dabei an, dass Grundvoraussetzung der Vertragsunterzeichnung der Gebietsschutz vor allem hinsichtlich der konkurrierenden I-GmbH-Studios gewesen sei, sowie, dass keinerlei Berührungspunkte mit der I-GmbH bestehen sollten. Die Beklagte werde nicht mit I-GmbH -Studios, I-GmbH -Kunden oder I-GmbH-Beratern an einem Tisch sitzen. Ab dem 1.5.2019 bezahlte die Beklagte die mtl. Beiträge aus dem Beratervertrag sowie die Vergütung aus der Interessenten-Analyse nicht mehr. Mit Mail vom 9.4.2019 bestätigte die G. M. S. GmbH den Eingang der Kündigung sowie mit Schreiben vom 12.4.2019 die Beendigung aller Verträge zum Ende der vereinbarten Laufzeit am 30.4.2021.

Die G. M. S. GmbH wurde mit Verschmelzungsvertrag vom 18.7.2019 mit der G GROUP GmbH verschmolzen. Die Klägerin wiederum - ursprünglich firmierend als M. F. D. GmbH - wurde mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 12.2.2019 in A. F. H. GmbH umbenannt. Auf die Klägerin wurde mit Verschmelzungsvertrag vom 5.6.2019 auch die I-GmbH sowie mit weiterem Verschmelzungsvertrag vom 18.7.2019 die G1. G2. GmbH verschmolzen. Die Klägerin trug vor dem LG vor, dass sie im Wege der Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der G. M. S. GmbH geworden sei. Sie habe Anspruch auf Bezahlung der gesamten bis zum Ende der regulären Vertragslaufzeit anfallenden Vergütung. Die Verträge seien wirksam, ein außerordentlicher Kündigungsgrund nicht gegeben. Die Beklagte wandte die Unwirksamkeit einzelner Vertragsklauseln ein und behauptete ein außerordentliches Kündigungsrecht.

Das LG gab der Klage antragsgemäß statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das OLG die Klage ab.

Die Gründe:
Die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung der zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisse aufgrund der auf Seiten der Klagepartei stattgefundenen Verschmelzungen lagen bei Ausspruch der Kündigung durch die Beklagte vor, so dass der Vergütungsanspruch der Klägerin erloschen ist.

Die Verschmelzung also solche stellt keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 314 Abs. 1 BGB dar. Hierfür bedarf es besonderer Umstände, die die weitere Erbringung der Dienste durch den übernehmenden Rechtsträger unzumutbar machen; insoweit sind allerdings keine hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht aus, wenn der Vertragspartner aufgrund der Umstrukturierung mit konkreten nachteiligen Änderungen in der Zusammenarbeit rechnen muss, die nicht ganz unerheblich sind. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine wirksame fristlose Kündigung der Verträge vor, § 314 BGB.

Vorliegend bestehen ausreichende Gründe für die außerordentliche Kündigung der hier streitgegenständlichen Vertragsverhältnisse, diese betreffen beide Vertragsverhältnisse gleichermaßen. Ausreichend ist hier für sich genommen bereits, dass sich die Beklagte nach der Verschmelzung einem deutlich größeren Vertragspartner gegenübersieht als zuvor und der Wunsch der Beklagten, von einer "Boutique", also einer grundsätzlich hochspezialisierten und damit entsprechend qualifizierten Vertragspartnerin betreut zu werden, dadurch nicht mehr realisierbar war. Denn hierdurch haben sich die Grundlagen der Zusammenarbeit für die Beklagte erheblich nachteilig verändert.

Soweit die Klägerin einwendet, die Beklagte habe keine hinreichenden Gründe für ihren Wunsch, nur mit einer "Boutique" zusammenzuarbeiten, vorgetragen, kommt es darauf nicht an. Bei der Frage, warum die Beklagte nur mit einer sog. "Boutique im Beratungsbereich zusammenarbeiten will, handelt es sich um eine rein unternehmerische Entscheidung, die einer Überprüfung durch die Gerichte auf ihre sachliche Rechtfertigung und Zweckmäßigkeit schon deswegen entzogen ist, weil es allein der Unternehmer ist, der für die Folgen dieser Entscheidung einzustehen hat. Ob diese Gründe (wirtschaftlich) mithin richtig oder falsch, plausibel oder unplausibel, nachvollziehbar oder nicht nachvollziehbar erscheinen, entzieht sich daher der gerichtlichen Überprüfung. Anderenfalls würden die Gerichte an die Stelle des Unternehmers treten und dessen Entscheidungen treffen, ohne für die damit verbundenen Risiken einstehen zu müssen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die Entscheidung als offensichtlich willkürlich darstellt.

Jedenfalls aber erscheint es vorliegend auch plausibel und nachvollziehbar, dass die Beklagte ihre Geschäftsunterlagen nicht (auch) den Beratern der I-GmbH zugänglich machen wollte. Denn unabhängig von der Frage, ob durch die Verschmelzung zukünftig in direkter Konkurrenz stehende Fitnessstudios von der Klägerin beraten werden und es dadurch zu einer Verletzung des Gebietsschutzes kommt, hat die Beklagte auch ein Interesse daran, dass außerhalb des Gebietsschutzes liegende Fitnessstudios nicht auf der Grundlage ihrer eigenen Unternehmensdaten beraten werden, so dass die Größe des Vertragspartners ein erheblicher Umstand ist, den die Beklagte aus wirtschaftlicher Sicht ihren Entscheidungen zugrunde legen konnte.

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Sören Wollin, ZIP 2022, 989

Kurzbeitrag:
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