17.07.2023

Rechtmäßigkeit der Untersagung der Übernahme von Telefónica Europe (O2) durch Hutchison 3G UK (Three)

Das Gericht der Europäischen Union muss erneut über die Rechtmäßigkeit der von der Kommission ausgesprochenen Untersagung der Übernahme von Telefónica Europe (O2) durch Hutchison 3G UK (Three) entscheiden.

EuGH v. 13.7.2023 - C-376/20 P
Der Sachverhalt:
Am 11.5.2016 hat die Kommission einen Beschluss erlassen, mit dem sie nach der Fusionskontrollverordnung die geplante Übernahme von Telefónica Europe (im Folgenden: O2) durch Hutchison 3G UK Investments, die zur CK Telecoms UK Investments Ltd wurde (im Folgenden: CK Telecoms), blockiert hat. CK Telecoms erhob beim Gericht der Europäischen Union (EuG) Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses. Mit Urteil vom 28.5.2020 gab das EuG der Klage statt und erklärte den Beschluss der Kommission für nichtig. Die Kommission hat dieses Urteil vor dem Gerichtshof angefochten.

Der EuGH hat das Urteil aufgehoben und die Sache an das EuG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Erstens wird festgestellt, dass das EuG, indem es die Auffassung vertreten hat, dass die Kommission "mit ernsthafter Wahrscheinlichkeit" nachweisen müsse, dass infolge des Zusammenschlusses "erhebliche Behinderungen vorliegen werden", und dass "das im vorliegenden Fall anwendbare Beweiserfordernis folglich strenger [ist] als das, wonach eine erhebliche Behinderung eines wirksamen Wettbewerbs, auf der Grundlage eines "Kriteriums der Wahrscheinlichkeit", "eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich" ist", ein Beweiserfordernis angewandt hat, das sich nicht aus der Fusionskontrollverordnung in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof ergibt, und somit einen Rechtsfehler begangen hat. Die prospektive Natur der wirtschaftlichen Analyse, die die Kommission nach der Fusionskontrollverordnung vorzunehmen hat, steht dem entgegen, dass dieses Organ für den Nachweis, dass ein Zusammenschluss wirksamen Wettbewerb erheblich behindern oder im Gegenteil nicht erheblich behindern würde, ein besonders hohes Beweismaß beachten muss.

Zweitens wird festgestellt, dass das EuG einen Rechtsfehler begangen hat, indem es entschieden hat, dass die Fusionskontrollverordnung dahin auszulegen sei, dass, wenn ein Zusammenschluss auf einem oligopolistischen Markt nicht zur Begründung oder Stärkung einer beherrschenden Stellung führe, eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs nur dann festgestellt werden könne, wenn die Kommission nachweise, dass zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt seien, nämlich: zum einen die Beseitigung eines beträchtlichen Wettbewerbsdrucks, den die Parteien des Zusammenschlusses aufeinander ausgeübt hätten, und zum anderen die Minderung des Wettbewerbsdrucks auf die verbleibenden Wettbewerber. Eine solche restriktive Auslegung ist mit dem Ziel dieser Verordnung unvereinbar, d. h. dem Ziel, eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse einzuführen, die einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindern würden, einschließlich von Zusammenschlüssen mit nicht koordinierten Auswirkungen.

Drittens wird festgestellt, dass das EuG nicht die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle überschritten hat, indem es die Begriffe "wichtige Wettbewerbskraft" und "nahe Wettbewerber" ausgelegt hat. Obwohl diese Begriffe bei ihrer Anwendung eine wirtschaftliche Analyse erfordern, ist der Unionsrichter dafür zuständig, sie im Rahmen der Ausübung seiner Kontrolle über die Entscheidungen der Kommission im Bereich der Fusionskontrolle auszulegen. Allerdings hat das EuG den streitigen Beschluss verfälscht, indem es festgestellt hat, dass daraus hervorgehe, dass die Kommission das Verschwinden einer "wichtigen Wettbewerbskraft" oder die Nähe des Wettbewerbs zwischen Hutchison 3G UK (Three) und O2 für sich genommen als ausreichend angesehen habe, um eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs nachzuweisen. Außerdem hat das EuG einen Rechtsfehler begangen, indem es festgestellt hat, dass die Kommission für die Einstufung von Three als "wichtige Wettbewerbskraft" nachweisen müsse, dass dieses Unternehmen einen besonders aggressiven Wettbewerb im Hinblick auf die Preise verfolgt und die anderen Marktteilnehmer gezwungen habe, ihre Preise anzupassen, oder dass seine Preispolitik die Dynamik des Wettbewerbs auf dem Markt erheblich habe verändern können. Für die Einstufung eines Unternehmens als "wichtige Wettbewerbskraft" genügt nämlich, dass es auf den Wettbewerbsprozess einen größeren Einfluss hat, als anhand seiner Marktanteile oder ähnlicher Messgrößen zu vermuten wäre. Schließlich hat das EuG einen Rechtsfehler begangen, indem es der Kommission den Nachweis auferlegt hat, dass die Parteien des Zusammenschlusses keine nahen, sondern "besonders nahe" Wettbewerber sind.  

Viertens wird bzgl. der quantitativen Analyse der Auswirkungen des geplanten Zusammenschlusses auf die Preise festgestellt, dass das EuG die Schriftsätze der Kommission im ersten Rechtszug verfälscht hat, was den genauen Wert der Preiserhöhung anbelangt, die sich aus dem geplanten Zusammenschluss ergeben könnte. Darüber hinaus hat das EuG die vorliegende Rechtssache zu Unrecht mit anderen von der Kommission geprüften Fusionssachen verglichen. Des Weiteren hat das EuG einen Rechtsfehler begangen, indem es festgestellt hat, dass die Kommission in ihre quantitative Analyse sog. "standardmäßige" Effizienzsteigerungen hätte einbeziehen müssen, die nach Ansicht des Gerichts mit allen Zusammenschlüssen einhergehen. Denn zwar können bestimmte Zusammenschlüsse zu ihnen eigenen Effizienzvorteilen führen, jedoch bedeutet diese Möglichkeit keineswegs, dass dies bei allen Zusammenschlüssen der Fall ist. Jedenfalls obliegt es den Anmeldern, solche Effizienzvorteile darzutun, damit die Kommission sie bei ihrer Kontrolle berücksichtigen kann.

Fünftens wird festgestellt, dass das EuG einen Rechtsfehler begangen hat, indem es nach seiner Prüfung der Stichhaltigkeit der von CK Telecoms im ersten Rechtszug beanstandeten Faktoren und Feststellungen und in Anbetracht des daraus folgenden Ergebnisses keine Gesamtwürdigung der Faktoren und Feststellungen vorgenommen hat, die für die Prüfung der Frage relevant sind, ob die Kommission das Vorliegen einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs nachgewiesen hat.

Sechstens wird zudem festgestellt, dass aus dem streitigen Beschluss hervorgeht, dass die Kommission sehr wohl eine mögliche Verschlechterung der Qualität des Netzes der aus dem geplanten Zusammenschluss hervorgehenden Einheit geprüft hat. Indem das EuG festgestellt hat, dass die Kommission eine solche Prüfung nicht vorgenommen habe, hat es diesen Beschluss verfälscht.

In Anbetracht des Umfangs, der Art und der Tragweite der Fehler des EuG, die sich auf dessen Argumentation insgesamt auswirken, war das angefochtene Urteil aufzuheben. Da der Gerichtshof nicht über die erforderlichen Angaben verfügt, um endgültig über alle im ersten Rechtszug geltend gemachten Klagegründe zu entscheiden, verweist er die Sache an das EuG zurück. Es ist nunmehr Aufgabe des EuG, erneut über diesen Rechtsstreit in seiner Gesamtheit zu entscheiden und dabei alle vom Gerichtshof im Rahmen des Rechtsmittels gemachten Klarstellungen zu berücksichtigen.

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EuGH PM Nr. 120 vom 13.7.2023
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