16.07.2025

Rechtsfolgen einer Verletzung der Masseerhaltungspflicht in der D&O-Versicherung

Verwirklicht ist der Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung dann, wenn ein Versicherter eine Pflichtverletzung in dem Bewusstsein der Pflicht und dem Bewusstsein, sich nicht pflichtgemäß zu verhalten, begangen hat. Darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer. Daraus folgt, dass der Versicherer zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine wissentliche Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers hindeutet. Dabei ist der Vortrag zusätzlicher Indizien dann entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann.

OLG Frankfurt a.M. v. 5.3.2025 - 7 U 134/23
Der Sachverhalt:
Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung wegen Haftpflichtansprüchen aus übergegangenem Recht aus einer D&O-Versicherung, welche die Insolvenzschuldnerin A GmbH als Versicherungsnehmerin bei der Beklagten als Versicherer unterhielt. In diese war der alleinige Geschäftsführer und Gesellschafter B als versicherte Person einbezogen. Dieser verfügte über einen Meistertitel im Heizungsbau bzw. der Sanitärtechnik.

Dem Vertrag lagen die Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Unternehmensleitern und Leitenden Angestellten (ULLA) zugrunde. Für wissentliche Pflichtverstöße statuiert Ziff. A.6 ULLA einen Leistungsausschluss.

Das LG verurteilte die beklagte Versicherung zur Zahlung von ca. 290.000 €. Der Kläger habe die Voraussetzungen des Haftpflichtanspruchs im hiesigen Deckungsprozess nachgewiesen.

Die Beklagte ist der Ansicht, das LG habe zu Unrecht eine wissentliche Verletzung von haftungsbegründenden Kardinalpflichten durch den Geschäftsführer verneint.

Das OLG hat die Klage abgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.

Die Gründe:
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Dies führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die Beklagte ist aufgrund einer wissentlichen Pflichtverletzung des Geschäftsführers B leistungsfrei. Vorliegend hat der Geschäftsführer B wissentlich gegen Geschäftsführerpflichten verstoßen, sodass die Beklagte jedenfalls aus diesem Grund bedingungsgemäß leistungsfrei ist.

Verwirklicht ist der Ausschluss der wissentlichen Pflichtverletzung dann, wenn ein Versicherter eine Pflichtverletzung in dem Bewusstsein der Pflicht und dem Bewusstsein, sich nicht pflichtgemäß zu verhalten, begangen hat. Darlegungs- und beweispflichtig für die Verwirklichung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses ist der Versicherer. Daraus folgt, dass der Versicherer zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine wissentliche Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers hindeutet. Dabei ist der Vortrag zusätzlicher Indizien dann entbehrlich, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann.

Jenseits der Fälle der Verletzung von beruflichen Kardinalpflichten, in denen vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge geschlossen werden kann, ist es Aufgabe des beweispflichtigen Versicherers, Anknüpfungstatsachen vorzutragen, die als schlüssige Indizien für eine wissentliche Pflichtverletzung betrachtet werden können. Erst wenn dies geschehen ist, obliegt es dem Versicherungsnehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Umstände aufzuzeigen, warum die vorgetragenen Indizien den Schluss auf eine wissentliche Pflichtverletzung nicht zulassen (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.2014 - IV ZR 90/13).

Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin hat vorliegend eine Kardinalpflicht verletzt, da er bei Eintritt der Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag stellte und die Geschäfte weiterführte. Zum Elementarwissen eines Geschäftsführers gehört auch die Vergewisserung über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft sowie die eingehende Prüfung der Insolvenzreife. Der Unternehmensleiter ist zur beständigen wirtschaftlichen Selbstkontrolle verpflichtet.

Umstände, warum eine wissentliche Pflichtverletzung nicht vorliegen sollte, zeigt die Klage entgegen der Auffassung des LG nicht auf. Der Kläger trägt im Gegenteil Umstände vor, aus denen sich ergibt, dass der Geschäftsführer der Schuldnerin die wirtschaftliche Lage des Unternehmens, mithin die die Zahlungsunfähigkeit begründenden Tatsachen, kannte bzw. sich dieser bewusst verschlossen hat, weil er etwa vermeiden wollte, dass aus einem begründeten Verdacht Gewissheit werde. Anerkannte Indizien für eine ex ante erkannte Zahlungseinstellung sind u. a. gehäufte Zwangsvollstreckungen, die verspätete Entrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, die Nichteinhaltung von Zahlungszusagen oder die Erklärung, fällige Verbindlichkeiten nicht bedienen zu können.

Solche Indizien liegen hier vor. Zum einen wurde dem Kläger durch die wiederholten Schreiben und Vollstreckungsandrohungen des Finanzamts unmissverständlich und ausdrücklich vorgehalten, dass die Rückstände "fortbestehend und nachhaltig" waren. Im gesamten Zeitraum von Januar 2016 bis Juni 2017, mithin über eineinhalb Jahre, bestanden Abgabenrückstände in fünfstelliger Höhe für nahezu jeden Monat der Fälligkeit. Schon in dem an den Geschäftsführer B persönlich adressierten Schreiben vom 19.5.2016 wies das Finanzamt deutlich darauf hin, dass sich die Liquiditätssteuerung verbessern müsse. Künftig sei es nicht hinzunehmen, dass das Finanzamt faktisch die Funktion der Bank übernehme und die Liquiditätsengpässe der Firma dauerhaft und wiederholt überbrücke. Auch die Androhung eines gewerberechtlichen Verfahrens musste für den Geschäftsführer ein sehr deutlicher Hinweis auf unmittelbaren Handlungsbedarf, sei es durch externen Rat oder eigene Prüfungen der Liquidität, bilden, denn mit der Androhung war die dringende Gefahr einer Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit verbunden (§ 35 GewO). Der Kläger hat zudem vorgetragen, dass der Geschäftsführer B die Zahlungsunfähigkeit gegenüber dem Finanzamt eingeräumt habe.

Es gehört zum Elementarwissen (nicht nur) eines Geschäftsführers, dass erhebliche wiederkehrende Rückstände, die über einen langen Zeitraum nicht so vollständig zurückgeführt werden können, dass künftige Rückstände nicht entstehen können, auf eine massive wirtschaftliche Krise hindeuten, die einen sofortigen "Kassensturz" i.S. einer Liquiditätsbilanz erfordern. Der Umstand, dass es sich bei dem Geschäftsführer um einen Handwerksmeister handelte, entlastet diesen nicht.

Sofern der Kläger meint, der Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht sei von dem Verstoß gegen das Zahlungsverbot streng zu unterscheiden, ist dem nicht zu folgen. Das Zahlungsverbot nach § 64 Satz 1 GmbHG a.F. mag zwar eine von der Antragspflicht gesonderte Pflicht sein. Von der Verletzung der Antragspflicht ist aber auf einen Charakter des § 64 Satz 1 GmbHG a.F. als Kardinalpflicht zu schließen. Ein Verstoß gegen die Masseschmälerungspflicht ist meist ursächlich auf einen Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht zurückzuführen.

Zwar wird die Rechtsfrage kontrovers beurteilt: Gegen die vorgenannte Auffassung wird in der juristischen Literatur vorgebracht, dass von der Kardinalpflicht, den Insolvenzantrag zu stellen, nicht notwendigerweise auf die Kardinalpflicht zu schließen sei, verbotene Zahlungen zu unterlassen - auch wenn beide Pflichten sehr eng miteinander verbunden seien.

Vorzugswürdig ist aber die Ansicht, die in der Verletzung der Insolvenzantragspflicht die wesentliche Ursache der Masseschmälerung sieht, da durch das schuldhafte Unterlassen der Antragstellung die Massesicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO vereitelt und masseschmälernde Verfügungen ermöglicht werden. Somit liegt dem Verstoß gegen das Masseschmälerungsverbot in aller Regel auch ein Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht zugrunde. Die Verletzung der Insolvenzantragspflicht allein würde praktisch nur ausnahmsweise den Regress wegen benachteiligender Verfügungen ermöglichen. Damit würde die für den Gläubigerschutz zentrale Vorschrift entwertet und ihre Verletzung sanktionslos gestellt, da die Berechnung des reinen Insolvenzverschleppungsschadens großen Schwierigkeiten begegnet.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen vor (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die zutreffende Beantwortung der Rechtsfrage nach dem Verhältnis der gesetzlichen Krisenbeobachtungs-, Insolvenzantrags- und Masseerhaltungspflichten unter dem Gesichtspunkt der indiziellen Bedeutung der Verletzung einer dieser Pflichten für die anderen Pflichten ist zweifelhaft. Dies ergibt sich daraus, dass hierzu in der Literatur unterschiedliche Meinungen vertreten werden. Die praktisch bedeutsame, klärungsfähige Rechtsfrage berührt - wegen § 15b InsO - zudem eine unbestimmte Vielzahl von Fällen auch nach Außerkrafttreten des § 64 GmbHG a.F.

Mehr zum Thema:

Link zum Volltext der OLG-Entscheidung

Aufsatz (u. Bespr. der OLG-Entscheidung):
Doch kein D&O-Versicherungsschutz für die Geschäftsführerhaftung nach § 15b InsO?
Christoph Thole, ZIP 2025, 1363

Beratermodul VersR - Zeitschrift für Versicherungsrecht
Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen.

Mit dem Beratermodul VersR haben Sie Zugriff auf das Archiv der Zeitschrift VersR seit 1970 mit jeweils 24 Ausgaben pro Jahr. 4 Wochen gratis nutzen!
 

Aktionsmodul Gesellschaftsrecht
Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen.

Sicher beraten und gestalten: Die nutzerfreundliche und funktionsstarke Datenbank lässt sich mit Answers kombinieren. 4 Wochen gratis nutzen!

 

Justiz Hessen online