07.11.2023

Rechtsmissbräuchlichkeit des ordnungsgemäßen Squeeze Out nur im eklatanten Ausnahmefall

Die Durchführung eines Squeeze Out kann bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nur in eklatanten Fallgestaltungen als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Dies kommt etwa in Betracht, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der gesetzgeberische Zweck entfremdet und stattdessen ein anderweit aufgestelltes Verbot unterlaufen wird oder die beabsichtigte Maßnahme in ihrer Benachteiligung der Minderheit über das vom Gesetz vorgesehene Maß deutlich hinausgeht, wobei an den von den Minderheitsaktionären zu führenden Nachweis einer Zweckentfremdung hohe Anforderungen zu stellen sind.

KG Berlin v. 16.10.2023 - 2 AktG 1/23
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist eine börsennotierte AG mit Sitz in Berlin. Sie hat die Antragsgegner in einem aktienrechtlichen Freigabeverfahren in Anspruch genommen. Das Grundkapital der Antragstellerin ist in insgesamt 109.416.860 Stückaktien zu je 1 € eingeteilt. Am 22.3.2023 hatte sie im Bundesanzeiger u.a. eine Einladung zur außerordentlichen Hauptversammlung 2023 veröffentlichen lassen. Als TOP 1 war die Beschlussfassung über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre der A. AG auf die A. S.A. als Hauptaktionärin gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung gem. §§ 327a ff. AktG aufgeführt. Danach könne die Hauptversammlung einer AG auf Verlangen eines Aktionärs, dem Aktien der Gesellschaft i.H.v. 95 % des Grundkapitals gehören (Hauptaktionär), die Übertragung der Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung beschließen (sog. aktienrechtlicher Squeeze-Out).

Die Hauptversammlung wurde am 28.4.2023 in Berlin in Präsenz durchgeführt. In der darüber aufgenommenen Notarurkunde hieß es, zwei Vertagungsanträge seien abgelehnt worden. Ferner hieß es zu TOP 1, dass der am 23.3.2023 im Bundesanzeiger veröffentlichte Beschlussvorschlag mit der erforderlichen Mehrheit angenommen worden sei. Gegen die Beschlussfassung zu TOP 1 haben die Antragsgegner jeweils Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage erhoben.

Mit der Antragsschrift vom 4.8.2023 begehrte die Antragstellerin die Freigabe der Eintragung des zu TOP1 gefassten Beschlusses der Hauptversammlung in das Handelsregister. Sie machte u.a. geltend, dass es hinsichtlich der Antragsgegner zu 5) und 6) bereits an dem erforderlichen Aktienbesitz fehle und die Antragsgegner zu 4) und 5) ihren Aktienbesitz nicht fristgerecht nachgewiesen hätten. Die erhobenen und zugestellten Anfechtungsklagen seien zudem bereits aufgrund des unstreitigen Sachverhalts und damit offensichtlich unbegründet.

Das KG hat dem Antrag stattgegeben.

Die Gründe:
Der Antrag auf Freigabe der Eintragung des in der außerordentlichen Hauptversammlung vom 28.4.2023 der Antragstellerin gefassten Squeeze Out-Beschlusses ist gegenüber allen Antragsgegnern zulässig und begründet. Das Freigabebegehren ist zulässig und der Antrag ist gegenüber der Antragsgegnerin zu 6) nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG und gegenüber sämtlichen Antragsgegnern nach §§ 327e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 AktG begründet. Tatsachen, aus denen der Senat auf eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes (§ 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 3 AktG) zu schließen hätte, waren im Ergebnis nicht glaubhaft gemacht (§ 327e Abs. 2 AktG iVm. § 319 Abs. 6 Satz 6 AktG).

Die Durchführung eines Squeeze Out (§§ 327a ff. AktG) kann bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nur in eklatanten Fallgestaltungen als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Dies kommt etwa in Betracht, wenn deutliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der gesetzgeberische Zweck entfremdet und stattdessen ein anderweit aufgestelltes Verbot unterlaufen wird oder die beabsichtigte Maßnahme in ihrer Benachteiligung der Minderheit über das vom Gesetz vorgesehene Maß deutlich hinausgeht, wobei an den von den Minderheitsaktionären zu führenden Nachweis einer Zweckentfremdung hohe Anforderungen zu stellen sind.

Aktionäre, die die gerichtliche Bestellung eines Sonderprüfers begehren (§ 142 Abs. 2 AktG), müssen ihren Aktienbesitz bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die Sonderprüfung halten. Erfolgt ein sie betreffender Squeeze Out vor diesem Zeitpunkt, wird der Antrag unzulässig. Wird durch einen Squeeze Out einem noch nicht rechtskräftig beschiedenen Antrag auf Sonderprüfung auf diesem Wege der Boden entzogen, kann dies den Squeeze Out rechtsmissbräuchlich machen, wenn konkreter tatsächlicher Anhalt dafür besteht, dass die Hauptaktionärin den Squeeze Out mit dem Ziel des Unterlaufens der Sonderprüfung betreibt.

Die Beschlussfassung über den Squeeze Out erfordert u.a. die Auslegung der festgestellten Jahresabschlüsse, nicht aber eines Jahresabschlusses, der lediglich vom Vorstand aufgestellt, jedoch bislang weder geprüft noch vom Aufsichtsrat gebilligt wurde. Die Nichtabgabe eines Prüfungsurteils durch den Abschlussprüfer (§ 322 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5 HGB) ermöglicht - anders als der Abbruch der Prüfung - eine formal ordnungsgemäße Beendigung der Prüfung und erlaubt damit auch die Feststellung des Jahresabschlusses.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung:
Anfechtbarkeit der Ausschüttung eines Gewinnvortrags an einen Gesellschafter als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung
BGH vom 22.7.2021 - IX ZR 195/20
ZIP 2021, 1822

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