04.03.2024

Squeeze-out: Bestimmung der Barabfindung nach einer am Börsenkurs orientierten Schätzung des "wahren Wertes" des Unternehmensanteils

Im Fall hinreichender Marktliquidität kann der Börsenkurs der zu bewertenden Gesellschaft im Einzelfall auch dann zur Bestimmung des inneren Wertes des Gesellschaftsanteils herangezogen werden, sofern ein knappes Jahr vor dem Bewertungsstichtag ein öffentliches Übernahmeangebot abgegeben worden ist und eine überschlägige Ertragswertberechnung keinen höheren inneren Wert nahelegt.

OLG Frankfurt a.M. v. 9.2.2024 - 21 W 129/22
Der Sachverhalt:
Die Antragsteller waren Aktionäre der X-AG, deren Aktien im Regulierten Markt der Frankfurter Wertpapierbörse seit April 2000 gehandelt und im Prime Standard notiert werden. Das Grundkapital von knapp 22 Mio. € war auf Inhaber lautende, nennwertlose Stückaktien eingeteilt. Zum Zeitpunkt der Hauptversammlung am 15.12.2020 hielt die X-AG 27.700 eigene Anteile. Hauptaktionärin mit einem Anteil von 92,31 % war die damalige Y-AG, auf die die X-AG verschmolzen wurde und die ab diesem Zeitpunkt unter X-AG firmierte. In der Folge wurde die X-AG in eine GmbH umgewandelt und firmiert seitdem unter X-GmbH (Antragsgegnerin). Die Gesellschaft gehörte zu den marktführenden Unternehmen auf dem Gebiet der Oberflächeninspektions- und der Bildverarbeitungssysteme, mit Spezialisierung im Bereich der 3D- Machine Vision.

Am 10.2.2020 hatte die Y-AG ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot für die Gesellschaft i.H.v. 50 € angekündigt, in dessen Folge der Kurs sprunghaft auf etwa 50 € anstieg. Bis zum Ende der verlängerten Annahmefrist am 29.4.2020 einschließlich wurde das Übernahmeangebot für insgesamt 17.205.199 X-AG Aktien (ca. 78,51 % des Grundkapitals und der Stimmrechte) angenommen. Am 3.8.2020 informierte die Y-AG, dass sie eine Verschmelzung mit Ausschluss der Minderheitsaktionäre der X-AG beabsichtige.

Vor der Hauptversammlung am 15.12.2020 hatten Prüfer hinsichtlich der Höhe der angemessenen Barabfindung den zugrunde gelegten Basiszins von - 0,1 % auf - 0,2 % reduziert, was zu einem weiterhin unterhalb des umsatzgewichteten Börsenkurses liegenden anteiligen Ertragswert von 42,72 € führte. Daraufhin beschloss die Hauptversammlung der X-AG den Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen Gewährung einer Abfindung i.H.d. umsatzgewichteten Börsenkurses, mithin i.H.v. 46,77 €. Die Antragsteller hielten dies für zu niedrig. Sie haben daher ein Spruchverfahren eingeleitet, um die Angemessenheit der Abfindung überprüfen zu lassen.

Das LG hat die Anträge zurückgewiesen. Es war der Ansicht, die gewährte Abfindung sei angemessen. Dies ergebe sich aus dem Börsenkurs der Gesellschaft. Dieser sei hinreichend aussagekräftig zur Bestimmung des Unternehmenswertes. Dies führe bei Zugrundelegung des von der BaFin nach § 31 Abs. 1, 7 WpÜG i.V.m. § 5 Abs. 3 AngVO berechneten gewichteten Durchschnittskurses zu einer angemessenen Abfindung von 46,77 €. Das OLG hat die Entscheidung im Beschwerdeverfahren bestätigt.

Die Gründe:
Im Ergebnis zu Recht hat das LG die gewährte Abfindung von 46,77 € je Aktie der X-AG für angemessen erachtet. Dies ergab sich aus einer am Börsenkurs orientierten Schätzung des "wahren Wertes" des Unternehmensanteils, die in dem von der Übertragungsgutachterin ermittelten anteiligen Ertragswert ihre Bestätigung findet. Soweit die Antragsteller gegen die Ertragswertberechnung Einwände erhoben hatten, blieben diese im Wesentlichen erfolglos.

Vorliegend erwies sich der Börsenkurs trotz Bedenken als geeignete Grundlage, um die Angemessenheit der Abfindung zu bestimmen. Die bestehenden Bedenken, den Börsenkurs trotz des zeitnah vor dem Übertragungsbeschluss erfolgten öffentlichen Übernahmeangebotes zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung heranzuziehen, erwiesen sich als nicht tragfähig, zumal der Kurs von dem grundsätzlich zutreffend ermittelten anteiligen Ertragswert bestätigt wurde.

Soweit die Antragsteller geltend gemacht hatten, dieser Ansatz sei generell unzulässig bzw. ungeeignet, war ihre Auffassung aufgrund der kürzlich veröffentlichten Entscheidung des BGH vom 21.2.2023 (II ZB 12/21) als überholt anzusehen. Auf die dortigen Ausführungen, die mit der bisherigen Rechtsprechung des Senats in Einklang stehen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 26. April 2021 - 21 W 139/19, juris), wird Bezug genommen. Demzufolge kann die Angemessenheit der Abfindung der außenstehenden Aktionäre anhand des Börsenwertes der Gesellschaft bestimmt werden, sofern sich die Methode nicht aufgrund der Umstände des konkreten Falls als ungeeignet erweist, den "wahren Wert" abzubilden.

Zutreffend hat das LG bei der Ermittlung des Börsenkurses auf den von der BaFin nach § 31 Abs. 1, 7 WpÜG i.V.m. § 5 Abs. 3 AngVO abgestellt und von einer Hochrechnung des Kurses abgesehen. Zu Unrecht kritisierten einige Antragsteller, dass bei der Berechnung des durchschnittlichen Börsenkurses nur der Handel im regulierten Markt, nicht hingegen im Freiverkehr berücksichtigt worden ist und darüber hinaus hierdurch große Transaktionen ein höheres Gewicht als kleine erhalten haben. Der von den Prüfern ermittelte Ertragswert erwies sich als tragfähig, so dass auch aus dieser Sicht die Abfindung als angemessen angesehen werden konnte.

Entgegen der Auffassung einiger Antragsteller stellte das öffentliche Übernahmeangebot i.H.v. 50 € keine weitere Bewertungsuntergrenze dar. Es entspricht der gefestigten verfassungsrechtlichen ebenso wie der einfachrechtlichen Rechtsprechung, dass die Minderheitsaktionäre keinen Anspruch auf gezahlte Vorerwerbspreise haben. Entgegen der Auffassung mehrerer Antragsteller führte auch die relative zeitliche Nähe zwischen der Abgabe des Übernahmeangebots am 10.2.2020 und dem Bewertungsstichtag am 15.12.2020 zu keiner anderen Bewertung. Denn die zeitliche Nähe ist nur Voraussetzung dafür, dass der Vorerwerbspreis für die Schätzung des inneren Wertes der Aktie am Bewertungsstichtag in Betracht kommt. Sie bietet aber keine Gewähr dafür, dass es sich um einen geeigneten Schätzer handelt.

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