Streitwertfestsetzung bei Beschlussmängelklage und Klagehäufung
OLG München v. 23.4.2025, 7 W 344/25 e
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit einem in 6.400 auf den Namen lautenden Stückaktien eingeteilten Grundkapital von 327.226,80 €. Beide Klägerinnen sind Aktionäre der Beklagten mit unterschiedlichem Aktienbesitz. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Hauptversammlung der Beklagten am 26.1.2024 besaß die Klägerin zu 1) eine Aktie im Nennwert von 51,13 €, die Klägerin zu 2) zwei Aktien im Nennwert von insgesamt 102,26 €.
Mit ihrer Klage vom 26.2.2024 (5 HK O 2381/24), die beim LG München I am selben Tag einging, beantragte die Klägerin zu 1) u.a. die Nichtigerklärung der in der oben genannten Hauptversammlung gefassten Beschlüsse zu TOP 14 (Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2022), zu Top 15 (Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2022). Mit ihrer Klage vom 26.2.2024 (5 HK O 2383/24), die beim LG München I am selben Tag einging, stellte die Klägerin zu 2) die gleichen Anträge. Mit Beschluss vom 20.3.2024 verband das LG die beiden Verfahren. Es setzte den Streitwert im Verhältnis der Klägerin zu 1) zur Beklagten auf 60.000 € und im Verhältnis der Klägerin zu 2) zur Beklagten auf 220.000 € fest.
Hiergegen wandte sich die Beklagte. Für sie waren die Streitwerte zu hoch angesetzt. Nachdem das LG der Beschwerde nicht abgeholfen hatte, setzte das OLG die Streitwerte bis zur Verbindung durch den Beschluss vom 20.3.2024 ffür die Klage der Klägerin zu 1) auf 40.000 € und für die Klage der Klägerin zu 2) auf 177.500 € fest, Seit der Verbindung auf 177.500 €.
Die Gründe:
Gem. § 247 Abs. 1 S. 1 AktG bestimmt das Gericht den Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falles, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen. Zu berücksichtigen ist dabei nicht nur das Interesse der Parteien des Beschlussmängelprozesses, d.h. der jeweiligen Anfechtungskläger und der Gesellschaft, sondern auch das Interesse der übrigen Aktionäre. Denn deren Interessen sind schon aufgrund der erweiterten Rechtskraftwirkung nach § 248 Abs. 1 S. 1 AktG stets betroffen.
Hinsichtlich des Werts des Interesses der Klägerinnen bildet grundsätzlich der Wert deren Aktienbesitzes die Obergrenze. Auf der Gegenseite ist das Interesse der Beklagten und der übrigen Aktionäre an der Verteidigung der angegriffenen Beschlüsse in die Betrachtung miteinzubeziehen. Maßgeblich ist diesbezüglich vorrangig der Vermögenswert der beschlossenen Maßnahme, soweit sich dieser feststellen lässt. Ist dies nicht der Fall, ist auf die Bedeutung der betroffenen Gesellschaft abzustellen, für die etwa der Betrag des Grundkapitals oder die Bilanzsumme indiziell sein können. Werden - wie vorliegend - mehrere Hauptversammlungsbeschlüsse angefochten, liegt eine objektive Klagehäufung (§ 260 ZPO) vor und ist für jeden Klageantrag ein Teilstreitwert zu ermitteln.
Da sich der Vermögenswert der Aufrechterhaltung der Entlastung des Vorstands für 2022 (TOP 14) und des Aufsichtsrats für 2022 (TOP 15) für die Beklagte nicht feststellen ließ, konnte zur Wertbemessung nur auf die Beeinträchtigung des geschäftlichen Ansehens der Gesellschaft durch die Nichtigerklärung der Entlastungsbeschlüsse sowie darauf abgestellt werden, dass die Beklagte mit im Jahr 2023 durchschnittlich nur 29 Mitarbeitern und Umsätzen von 4.416.302,65 € eine kleine Kapitalgesellschaft i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB ist und auch ihr Grundkapital mit 327.226,80 € relativ gering ist. Ein noch niedriger Wert war mit der Bedeutung eines Entlastungsbeschlusses für die Gesellschaft und die übrigen Aktionäre dagegen nicht vereinbar.
Gleichzeitig war allerdings zu berücksichtigen, dass die Wahl zum Aufsichtsratsmitglied, mit den damit verbundenen weitreichenden Einflussmöglichkeiten auf das Wohl und Wehe der Gesellschaft wertmäßig höher einzustufen ist als die regelmäßig auf ein Geschäftsjahr beschränkte Entlastung eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds. Daher hielt der Senat die vom LG insoweit angesetzten 10.000 € für angemessen. Ein Wert von lediglich 2.000 €, wie von der Beschwerde begehrt, ginge fehl. Denn der Wert steigt und sinkt nicht streng proportional zur Höhe des Grundkapitals der jeweiligen Gesellschaft.
Den Wert des Beschlusses bezüglich der Verpflichtung der Beklagten zu Durchführung einer erneuten Hauptversammlung war, wie von der Beschwerde begehrt, mit lediglich 10.000 € zu bemessen. Zwar können die Kosten der Vorbereitung einer Hauptversammlung insbesondere aufgrund der anfallenden Rechtsberatungskosten ohne weiteres im höheren fünf- wenn nicht sogar sechsstelligen Bereich liegen. Bei der Beklagten, die nur über einige wenige Aktionäre verfügt und bei der sich die Rechtsberatung offenbar in engen Grenzen hält, konnte von einem solchen Betrag jedoch nicht ausgegangen werden.
Werden - wie vorliegend - mehrere selbständige Prozesse miteinander verbunden, so ist die Verbindung auf die Gebührenstreitwerte beider Prozesse vor der Verbindung ohne Einfluss. Daher sind bis zur Verbindung getrennte Streitwerte festzusetzen. Von der Verbindung an bestimmen sich die Gerichtsgebühren dagegen nach einem neuen, einheitlichen Streitwert. Werden Verfahren mit verschiedenen Streitgegenständen verbunden, setzt sich der Streitwert aus der Summe der Einzelstreitwerte der verbundenen Verfahren zusammen.
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Bayern.Recht
Die Beklagte ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft mit einem in 6.400 auf den Namen lautenden Stückaktien eingeteilten Grundkapital von 327.226,80 €. Beide Klägerinnen sind Aktionäre der Beklagten mit unterschiedlichem Aktienbesitz. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Hauptversammlung der Beklagten am 26.1.2024 besaß die Klägerin zu 1) eine Aktie im Nennwert von 51,13 €, die Klägerin zu 2) zwei Aktien im Nennwert von insgesamt 102,26 €.
Mit ihrer Klage vom 26.2.2024 (5 HK O 2381/24), die beim LG München I am selben Tag einging, beantragte die Klägerin zu 1) u.a. die Nichtigerklärung der in der oben genannten Hauptversammlung gefassten Beschlüsse zu TOP 14 (Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2022), zu Top 15 (Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2022). Mit ihrer Klage vom 26.2.2024 (5 HK O 2383/24), die beim LG München I am selben Tag einging, stellte die Klägerin zu 2) die gleichen Anträge. Mit Beschluss vom 20.3.2024 verband das LG die beiden Verfahren. Es setzte den Streitwert im Verhältnis der Klägerin zu 1) zur Beklagten auf 60.000 € und im Verhältnis der Klägerin zu 2) zur Beklagten auf 220.000 € fest.
Hiergegen wandte sich die Beklagte. Für sie waren die Streitwerte zu hoch angesetzt. Nachdem das LG der Beschwerde nicht abgeholfen hatte, setzte das OLG die Streitwerte bis zur Verbindung durch den Beschluss vom 20.3.2024 ffür die Klage der Klägerin zu 1) auf 40.000 € und für die Klage der Klägerin zu 2) auf 177.500 € fest, Seit der Verbindung auf 177.500 €.
Die Gründe:
Gem. § 247 Abs. 1 S. 1 AktG bestimmt das Gericht den Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des einzelnen Falles, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, nach billigem Ermessen. Zu berücksichtigen ist dabei nicht nur das Interesse der Parteien des Beschlussmängelprozesses, d.h. der jeweiligen Anfechtungskläger und der Gesellschaft, sondern auch das Interesse der übrigen Aktionäre. Denn deren Interessen sind schon aufgrund der erweiterten Rechtskraftwirkung nach § 248 Abs. 1 S. 1 AktG stets betroffen.
Hinsichtlich des Werts des Interesses der Klägerinnen bildet grundsätzlich der Wert deren Aktienbesitzes die Obergrenze. Auf der Gegenseite ist das Interesse der Beklagten und der übrigen Aktionäre an der Verteidigung der angegriffenen Beschlüsse in die Betrachtung miteinzubeziehen. Maßgeblich ist diesbezüglich vorrangig der Vermögenswert der beschlossenen Maßnahme, soweit sich dieser feststellen lässt. Ist dies nicht der Fall, ist auf die Bedeutung der betroffenen Gesellschaft abzustellen, für die etwa der Betrag des Grundkapitals oder die Bilanzsumme indiziell sein können. Werden - wie vorliegend - mehrere Hauptversammlungsbeschlüsse angefochten, liegt eine objektive Klagehäufung (§ 260 ZPO) vor und ist für jeden Klageantrag ein Teilstreitwert zu ermitteln.
Da sich der Vermögenswert der Aufrechterhaltung der Entlastung des Vorstands für 2022 (TOP 14) und des Aufsichtsrats für 2022 (TOP 15) für die Beklagte nicht feststellen ließ, konnte zur Wertbemessung nur auf die Beeinträchtigung des geschäftlichen Ansehens der Gesellschaft durch die Nichtigerklärung der Entlastungsbeschlüsse sowie darauf abgestellt werden, dass die Beklagte mit im Jahr 2023 durchschnittlich nur 29 Mitarbeitern und Umsätzen von 4.416.302,65 € eine kleine Kapitalgesellschaft i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB ist und auch ihr Grundkapital mit 327.226,80 € relativ gering ist. Ein noch niedriger Wert war mit der Bedeutung eines Entlastungsbeschlusses für die Gesellschaft und die übrigen Aktionäre dagegen nicht vereinbar.
Gleichzeitig war allerdings zu berücksichtigen, dass die Wahl zum Aufsichtsratsmitglied, mit den damit verbundenen weitreichenden Einflussmöglichkeiten auf das Wohl und Wehe der Gesellschaft wertmäßig höher einzustufen ist als die regelmäßig auf ein Geschäftsjahr beschränkte Entlastung eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds. Daher hielt der Senat die vom LG insoweit angesetzten 10.000 € für angemessen. Ein Wert von lediglich 2.000 €, wie von der Beschwerde begehrt, ginge fehl. Denn der Wert steigt und sinkt nicht streng proportional zur Höhe des Grundkapitals der jeweiligen Gesellschaft.
Den Wert des Beschlusses bezüglich der Verpflichtung der Beklagten zu Durchführung einer erneuten Hauptversammlung war, wie von der Beschwerde begehrt, mit lediglich 10.000 € zu bemessen. Zwar können die Kosten der Vorbereitung einer Hauptversammlung insbesondere aufgrund der anfallenden Rechtsberatungskosten ohne weiteres im höheren fünf- wenn nicht sogar sechsstelligen Bereich liegen. Bei der Beklagten, die nur über einige wenige Aktionäre verfügt und bei der sich die Rechtsberatung offenbar in engen Grenzen hält, konnte von einem solchen Betrag jedoch nicht ausgegangen werden.
Werden - wie vorliegend - mehrere selbständige Prozesse miteinander verbunden, so ist die Verbindung auf die Gebührenstreitwerte beider Prozesse vor der Verbindung ohne Einfluss. Daher sind bis zur Verbindung getrennte Streitwerte festzusetzen. Von der Verbindung an bestimmen sich die Gerichtsgebühren dagegen nach einem neuen, einheitlichen Streitwert. Werden Verfahren mit verschiedenen Streitgegenständen verbunden, setzt sich der Streitwert aus der Summe der Einzelstreitwerte der verbundenen Verfahren zusammen.
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