Stufenklage: Durchsetzungssperre steht selbständiger Geltendmachung von Auskunftsansprüchen nicht entgegen
BGH v. 8.7.2025 - II ZB 1/25
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Rahmen einer Stufenklage über Auskunft, eidesstattliche Versicherung und Zahlung eines anteiligen Gewinns aus einem Geschäft der Beklagten mit dem Land B. über die Lieferung von Corona-Schnelltests. Die Beklagte hatte die Corona-Schnelltests ihrerseits von der R. oHG bezogen. Die Klägerin hat in erster Instanz im Wesentlichen vorgetragen, sie habe mit der Beklagten eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, nach der ihr 2/3 des Gewinns der Beklagten aus deren Geschäft mit dem Land B. zustünden. Die Höhe des Gewinns sei unklar, weil die Angaben der Beklagten zu dem Einkaufspreis, den sie an die R. oHG gezahlt habe, nicht glaubhaft seien.
Das LG gab der Klage insoweit statt, als es die Beklagte durch Teilurteil antragsgemäß verurteilte, der Klägerin Rechenschaft zu legen über die Einkaufspreise samt der gesetzlichen Umsatzsteuer für 1.625.000 Stück SARS-CoV-2 Schnelltests, die auf Grundlage des zwischen dem Land B. und der Beklagten am 19.5.2021 geschlossenen Rahmenvertrages über die Lieferung von zertifizierten SARS-CoV-2 Schnelltests zur Selbstanwendung durch Laien an das Land B. geliefert und mit Beleg-Nummer 200825 am 31.5.2021 über einen Bruttogesamtbetrag von rd. 5 Mio. € abgerechnet worden sind, durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses und der vorhandenen Belege, insbesondere sämtlicher Belege zum Einkauf der Schnelltests, aus denen der Lieferant, die vereinbarten Einkaufspreise und die Zahlungen (insbesondere Bankbelege) hervorgehen. Das OLG bezifferte die Beschwer der Beklagten auf nicht mehr als 600 € verwarf die Berufung nach vorherigem Hinweis als unzulässig.
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Die Bewertung der Beschwer durch das OLG ist nicht rechtsfehlerhaft. Das OLG hat alle maßgeblichen Tatsachen verfahrensfehlerfrei berücksichtigt.
Zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde, das OLG hätte in die Beschwer der Beklagten einbeziehen müssen, dass sie zur Erfüllung ihrer Auskunftsverpflichtung gegenüber der Klägerin zunächst die R. oHG auf Auskunft über die von dieser gezahlten Einkaufspreise in Anspruch nehmen müsse. Derartiges lässt sich dem Tenor des angefochtenen Urteils nicht entnehmen. Bereits der Wortlaut des Urteilsausspruchs steht einem solchen Verständnis entgegen, der sich auf die bei der Beklagten vorhandenen Unterlagen bezieht ("abgerechnet worden ist", "vorhandenen Belege"). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Beklagte auch nicht deshalb zur Auskunft über die von der R. oHG gezahlten Einkaufspreise verurteilt worden, weil nach § 4 Abs. 1 des zwischen ihr und der oHG geschlossenen Vertrags ihre Vergütung teilweise von jenen Preisen abhing. Danach hat das OLG den Aufwand an Zeit und Kosten der Beklagten rechtsfehlerfrei nach dem bei ihr vorhandenen Datenbestand bemessen. Dass das OLG den Zeit- und Kostenaufwand insoweit zu niedrig angesetzt hätte, macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich.
Eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu der an sich gegebenen Berufung liegt auch nicht darin, dass das OLG die gebotene Entscheidung über die Zulassung der Berufung nicht nachgeholt hat und ein Grund für die Zulassung der Berufung auch tatsächlich vorliegt. Das Berufungsgericht ist zwar gesetzlich verpflichtet, die Entscheidung über die Zulassung der Berufung nachzuholen, wenn feststeht, dass das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen hat, die Berufung nach § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil es von einer über 600 € hinausgehenden Beschwer ausgegangen ist, und das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht hält. Vorliegend steht jedoch nicht fest, dass das LG von der Rechtsmittelfähigkeit seiner Entscheidung ausgegangen ist. Der Umstand allein, dass das LG die vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung angeordnet hat, lässt diesen Schluss nicht zu. Ein solcher Schluss ist im Streitfall umso weniger gerechtfertigt, als das LG die Sicherheitsleistung rechtsfehlerhaft nach § 709 Satz 2 ZPO bemessen hat, obwohl keine Geldforderung zu vollstrecken ist.
Davon abgesehen wäre eine Zulassung der Berufung aber auch nicht in Betracht gekommen. Die Rechtsbeschwerde legt nicht dar, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Soweit die Rechtsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten durch das LG im Hinblick auf die von ihr eingewendete sog. Durchsetzungssperre beklagt, steht der auch in der Innengesellschaft bürgerlichen Rechts geltende Grundsatz der Gesamtabrechnung aufgelöster Gesellschaften der selbständigen Geltendmachung von Auskunftsansprüchen im Rahmen einer Stufenklage nicht entgegen. Dies ergibt sich schon daraus, dass selbst ein Zahlungsantrag in der Leistungsstufe ohne Weiteres auch das Feststellungsbegehren enthält, dass die entsprechenden Forderungen in die Auseinandersetzungsrechnung (als unselbstständige Rechnungsposten) eingestellt werden. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob die Beklagte ihrerseits noch etwas von der Klägerin aus dem Gesellschaftsverhältnis beanspruchen kann.
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Die Parteien streiten im Rahmen einer Stufenklage über Auskunft, eidesstattliche Versicherung und Zahlung eines anteiligen Gewinns aus einem Geschäft der Beklagten mit dem Land B. über die Lieferung von Corona-Schnelltests. Die Beklagte hatte die Corona-Schnelltests ihrerseits von der R. oHG bezogen. Die Klägerin hat in erster Instanz im Wesentlichen vorgetragen, sie habe mit der Beklagten eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, nach der ihr 2/3 des Gewinns der Beklagten aus deren Geschäft mit dem Land B. zustünden. Die Höhe des Gewinns sei unklar, weil die Angaben der Beklagten zu dem Einkaufspreis, den sie an die R. oHG gezahlt habe, nicht glaubhaft seien.
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