13.11.2025

Von Aktionären der Wirecard AG angemeldete Ansprüche sind keine einfachen Insolvenzforderungen

Die Aktionäre einer insolventen Aktiengesellschaft (hier: Wirecard AG) sind mit ihren kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüchen nicht als einfache Insolvenzgläubiger an der Verteilung der Insolvenzmasse zu beteiligen. Diese Ansprüche sind derart mit der Stellung als Aktionär verknüpft, dass sie in der Insolvenz der Gesellschaft hinter den Forderungen einfacher Insolvenzgläubiger gem. § 38 InsO zurücktreten.

BGH v. 13.11.2025 - IX ZR 127/24
Der Sachverhalt:
Das Insolvenzgericht hatte am 25.8.2020 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der börsennotierten Wirecard AG eröffnet und den Beklagten zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt. Daraufhin meldeten etwa 50.000 Aktionäre der AG Schadensersatzforderungen aufgrund des Erwerbs der Aktien i.H.v. rund 8,5 Mrd. € zur Insolvenztabelle an. Die Beklagte zu 2) ist die gemeinsame Vertreterin von Gläubigern einer von der Wirecard AG ausgegebenen Schuldverschreibung über 500 Mio. €, die ebenfalls Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet haben. Mit den Ansprüchen weiterer Gläubiger sind insgesamt Forderungen i.H.v. rund 15,4 Mrd. € zur Tabelle angemeldet. Die derzeit vorhandene Insolvenzmasse beträgt etwa 650 Mio. €.

Die Klägerin ist eine deutsche Kapitalanlagegesellschaft. Sie zwischen Januar 2015 und Juni 2020 Aktien der Wirecard AG auf dem Sekundärmarkt erworben und verkaufte diese zum großen Teil wieder. Am 18.6.2020 hielt die Klägerin noch 73.345 Aktien. Sie meinte, ihr stünden kapitalmarktrechtliche Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft zu. Die Wirecard AG habe ein tatsächlich nicht vorhandenes Geschäftsmodell vorgetäuscht und über ihre Vermögens-, Finanz- und Ertragslage getäuscht. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte die Klägerin keine Aktien erworben.

Die Klägerin meldete deshalb Ansprüche i.H.v. insgesamt 9.836.098 € als einfache Insolvenzforderungen nach § 38 InsO zur Insolvenztabelle an. Im Prüfungstermin vom 15.4.2021 bestritten beide Beklagten die von der Klägerin angemeldeten Forderungen. Sie waren der Ansicht, dass es sich bei den Ansprüchen der Klägerin nicht um einfache Insolvenzforderungen handele. Die Aktionäre seien mit ihren Ansprüchen aus dem täuschungsbedingten Erwerb der Aktien nachrangig gegenüber den übrigen Insolvenzgläubigern. Ihre Forderungen seien nur zu berücksichtigen, soweit bei Beendigung des Insolvenzverfahrens ein Überschuss vorhanden sei.

Die Klägerin hat gerichtlich die Feststellung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle gefordert. Der Beklagte zu 1) hat eine Zwischenfeststellungswiderklage erhoben, mit der er festgestellt wissen wollte, dass es sich bei den Forderungen der Klägerin um Ansprüche handelte, die allein im Rahmen einer Überschussverteilung nach § 199 Satz 2 InsO berücksichtigt werden könnten.

Das LG hat die Klage und die Widerklage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung des Beklagten zu 1) durch Teilurteil zurückgewiesen und auf die Berufung der Klägerin ein Zwischenurteil erlassen. Darin hat es ausgesprochen, dass die Klage zulässig sei und die Klägerin ihre kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzforderungen als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO geltend machen könne. Auf die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben, soweit das OLG festgestellt hatte, dass die Klägerin die zur Tabelle angemeldeten kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzforderungen als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO geltend macht. Er hat das Urteil des LG, das die Klage auf Feststellung der Forderungen der Klägerin zur Insolvenztabelle abgewiesen hatte, insoweit wiederhergestellt. In Bezug auf die Zwischenfeststellungswiderklage des Beklagten zu 1) hat der BGH die Revision zurückgewiesen.

Gründe:
Die von der Klägerin zur Tabelle angemeldeten Forderungen stellen keine einfachen Insolvenzforderungen gem. § 38 InsO dar. Kapitalmarktrechtliche Schadensersatzansprüche der Aktionäre sind derart mit der Stellung als Aktionär verknüpft, dass sie in der Insolvenz der Gesellschaft hinter den Forderungen einfacher Insolvenzgläubiger gem. § 38 InsO zurücktreten. Da nur eine Forderungsanmeldung im Rang des § 38 InsO im Streit war, bedurfte es keiner Entscheidung, ob die Forderungen gem. § 199 Satz 2 InsO erst nach einer Schlussverteilung aus dem verbleibenden Überschuss zu bedienen oder ob sie in entsprechender Anwendung im Rang des § 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 InsO als nachrangige Insolvenzgläubiger zu befriedigen sind.

Die Insolvenzordnung enthält - soweit es um die Befriedigung aus dem Vermögen der insolventen Gesellschaft geht - eine Verteilungsordnung und zugleich eine Rangordnung. Der Gesetzgeber ordnet Forderungen der Gesellschafter im Rang hinter den einfachen Insolvenzgläubigern des § 38 InsO ein, wenn die Forderungen hinreichend mit der Beteiligung an der Gesellschaft verknüpft sind. Das war hier der Fall. Aktionäre, die von bewusst unwahren, kursrelevanten Ad-hoc-Mitteilungen der Vorstandsmitglieder über die Geschäftsentwicklung der Gesellschaft vorsätzlich zum Erwerb von Aktien veranlasst wurden, können von der Gesellschaft Erstattung des gezahlten Kaufpreises gegen Übertragung der Aktien oder - sofern diese wegen zwischenzeitlicher Veräußerung nicht mehr vorhanden sind - gegen Anrechnung des Veräußerungspreises verlangen. In der Insolvenz der Gesellschaft sind solche Ansprüche der Aktionäre nachrangig gegenüber einfachen Insolvenzgläubigern.

Im Insolvenzfall betrifft die Durchsetzung der kapitalmarktrechtlichen Schadensersatzansprüche nicht mehr die Haftung der Gesellschaft, sondern einen Verteilungskonflikt zwischen Fremdgläubigern und den an der Gesellschaft beteiligten Gläubigern. In diesem Verteilungskonflikt weist die Gläubigerstellung der Aktionäre die notwendige Nähe zur Beteiligung an der Gesellschaft auf. Ein kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzanspruch eines Aktionärs unterscheidet sich grundlegend von Ansprüchen einfacher Insolvenzgläubiger. Er entsteht nur aufgrund der Beteiligung als Aktionär. Wirtschaftlich kompensiert er die - täuschungsbedingt - fehlgeschlagene Investition in eine eigene Geschäftstätigkeit, nämlich die der Gesellschaft, an der sich der Aktionär beteiligt. Bei der Haftung gegenüber der Klägerin geht es daher um den Ausgleich von Schäden, die notwendig mit ihrer Aktionärsstellung zusammenhängen.

Die insolvenzrechtliche Rangfolge setzt solche auf den Erwerb der Aktie bezogene Forderungen hinter diejenigen der einfachen Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO zurück. Für einen Gleichrang mit einfachen Insolvenzgläubigern genügt es auch nicht, die Täuschung der Aktionäre in den Blick zu nehmen, weil dies ausblendet, dass Zweck des Rechtsgeschäfts der Erwerb einer Beteiligung an der Gesellschaft war. Der Aktionär hat daher die mit seiner Stellung verbundenen Risiken zu tragen.

Die Zwischenfeststellungswiderklage des Beklagten zu 1) war unzulässig. Sie ging - soweit sie den Rang des § 38 InsO verneint hatte - nicht über eine Abweisung der Hauptsacheklage hinaus. Für eine Feststellung, dass die Forderungen der Klägerin allein im Rahmen der Überschussverteilung berücksichtigt werden könnten, bestand kein Rechtsschutzinteresse.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Klaus F. Jaenecke / Nicolas von Rosty
Haftungsrisiken werden von Aufsichts- und Beiräten noch häufig unterschätzt
AR 2025, 243

Aktionsmodul Gesellschaftsrecht
Otto Schmidt Answers ist in diesem Modul mit 5 Prompts am Tag enthalten! Nutzen Sie die Inhalte in diesem Modul direkt mit der KI von Otto Schmidt. Sicher beraten und gestalten: Die nutzerfreundliche und funktionsstarke Datenbank lässt sich mit Answers kombinieren. 4 Wochen gratis nutzen!
BGH PM Nr. 211 vom 13.11.2025