28.07.2023

Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen der Unternehmen

Die kartellrechtlichen Vorschriften sehen jeweils getrennte Bußgeldnormen für die handelnden Personen und das beteiligte Unternehmen, auch der Höhe nach, vor. Durch den Rückgriff auf den Geschäftsführer bestände darüber hinaus die Gefahr, dass der Sanktionszweck eines Unternehmensbußgeldes gefährdet würde. So könnten Unternehmen sich sonst durch den Rückgriff auf Geschäftsführer und Vorstände faktisch ihrer kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung entziehen.

OLG Düsseldorf v. 27.7.2023 - VI-6 U 1/22 (Kart)
Der Sachverhalt:
Der Beklagte war Geschäftsführer der klagenden GmbH und Vorstandsvorsitzender der klagenden AG, zweier miteinander verbundener Edelstahlunternehmen gewesen. In diesen Funktionen hatte er in der Zeit von Juli 2002 bis Ende 2015 - insbesondere seit 2012 auch als Vorstandsvorsitzender eines maßgeblichen Branchenverbandes - regelmäßig an dem Austausch wettbewerblich sensibler Informationen teilgenommen. Das Bundeskartellamt hatte in dem anschließenden Bußgeldverfahren gegen zehn Edelstahlunternehmen, zwei Branchenverbände und siebzehn verantwortliche Personen - darunter den Beklagten - Geldbußen i.H.v. insgesamt rund 355 Mio. € verhängt. Gegen die GmbH hatte das Bundeskartellamt ein Bußgeld i.H.v. 4,1 Mio. € und gegen den Beklagten persönlich ein weiteres Bußgeld festgesetzt. Gegen die AG wurde im Hinblick auf das Bußgeld gegen die GmbH kein Bußgeld festgesetzt.

Die klagende GmbH forderte von dem Beklagten Schadenersatz i.H.d. gegen das Unternehmen festgesetzten Bußgeldes. Die klagende AG verlangte Erstattung der Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten. Hierfür machte sie mehr als 1 Mio. € geltend. Darüber hinaus begehrten beide Klägerinnen die Feststellung, dass der Beklagte für alle aus dem Kartell resultierenden Zukunftsschäden hafte.

Das LG hat die Klage hinsichtlich des Unternehmens-Bußgeldes sowie der geltend gemachten Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Im Übrigen hat es festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Zukunftsschäden zu leisten, die aus dem Wettbewerbsverstoß resultierten. Das OLG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt. Allerdings wurde die Revision zum BGH zugelassen.

Die Gründe:
Das LG hat zutreffend entschieden, dass hinsichtlich des gegen die GmbH festgesetzten Bußgeldes kein Regress gegen den Beklagten in Betracht kommt. Denn eine persönliche Haftung des Geschäftsführers und des Vorstandes, hier des Beklagten, für Kartellbußen eines Unternehmens schied aus. Andernfalls würde man die kartellrechtliche Wertung unterlaufen, wonach - wie vorliegend - getrennte Bußgelder gegen die handelnde Person und das Unternehmen selbst festgesetzt würden.

Die kartellrechtlichen Vorschriften sehen jeweils getrennte Bußgeldnormen für die handelnden Personen und das beteiligte Unternehmen, auch der Höhe nach, vor. Durch den Rückgriff auf den Geschäftsführer bestände darüber hinaus die Gefahr, dass der Sanktionszweck eines Unternehmensbußgeldes gefährdet würde. So könnten Unternehmen sich sonst durch den Rückgriff auf Geschäftsführer und Vorstände faktisch ihrer kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung entziehen. Dies gilt erst recht, wenn Vorstand und Geschäftsführer über eine sog. "D&O-Versicherung" haftpflichtversichert sind und die Deckungssumme weit höher ist als das gegen das Unternehmen verhängte Bußgeld.

Da die Aufklärungs- und Verteidigerkosten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen vor dem Bundeskartellamt standen, konnten diese Kosten ebenfalls nicht erstattet verlangt werden. Es blieb somit eine Haftung des Geschäftsführers und Vorstandes für zivilrechtliche Ansprüche Dritter, die aufgrund des Kartells geschädigt worden waren. Der Beklagte hatte vorsätzlich an dem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch mitgewirkt. Er hat sich nicht in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. So hatte er sich etwa auf den Sitzungen des Edelstahl-Vereinigung e.V. mit anderen Wettbewerbern über wettbewerblich sensible Informationen wie die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht. Vor diesem Hintergrund war es fernliegend, dass ihm die Kartellrechtswidrigkeit nicht bewusst gewesen sein soll.

Die vom Beklagten geltend gemachte Verjährung griff nicht. Die zahlreichen Treffen bildeten im Rahmen einer einheitlichen Grundabsprache eine Bewertungseinheit, so dass die Verjährung der Ansprüche gegen das Leitungsorgan nicht nach jedem Treffen gesondert, sondern erst mit dem letzten Treffen begonnen hat.

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