Wahrung der gesellschaftsvertraglichen Anfechtungsfrist - Bewusste Täuschung der Kostenbeamtin?
LG Darmstadt v. 5.5.2025 - 18 O 5/24
Der Sachverhalt:
Die Beklagte ist eine GmbH. Kläger und Nebenintervenient sind Brüder, die sich bereits seit Jahren miteinander streiten. Der Kläger war an dem Stammkapital der Beklagten mit 49,5 % beteiligt, der Nebenintervenient mit 50,5 %. Der § 9 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrags lautet wie folgt:
"Die Einlegung von Rechtsmitteln jeder Art gegen Gesellschafterbeschlüsse ist nur innerhalb einer Frist von einem Monat nach Beschlussfassung zulässig."
Am 30.3.2021 fand eine Gesellschafterversammlung statt, auf der die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer beschlossen wurde. Das LG Darmstadt erklärte den Beschluss später für nichtig. Das OLG Frankfurt a.M. bestätigte die Entscheidung. Unter dem Az. II ZR 111/24 ist eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH anhängig. Am 28.7.2021 fand eine weitere Gesellschafterversammlung statt, zu welcher der Kläger eingeladen hatte und auf welcher der Nebenintervenient als Geschäftsführer abberufen und aus der Beklagten ausgeschlossen wurde. Auch hier erklärte das LG Darmstadt diverse Beschlüsse für nichtig. Die dagegen gerichtete Berufung ist noch anhängig.
Der Nebenintervenient lud den Kläger mit undatiertem Schreiben zu einer Gesellschafterversammlung für den 27.12.2023 ein. Der Kläger erhielt die Einladung am 11.12.2023. Der Kläger wandte umgehend an den Nebenintervenienten und wies die Einladung als unwirksam zurück. Außerdem machte er ein Ergänzungsverlangen der Tagesordnung nach § 50 Abs. 2 GmbHG geltend und für den Fall, dass dem Ergänzungsverlangen nicht entsprochen wird, kündigte er an, die Tagesordnung nach § 50 Abs. 3 GmbHG selbst zu ergänzen.
Auf der Gesellschafterversammlung am 27.12.2023 rügte der Kläger die seiner Ansicht nach unwirksame Einladung. Die Versammlung verlief erwartungsgemäß chaotisch, der Nebenintervenient stimmte jeweils höchstvorsorglich unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung von Rügen gegen die jeweiligen Beschlussvorschläge, der Kläger jeweils dafür. Der Kläger war der Auffassung, dass der Nebenintervenient bereits mit Beschluss vom 28.7.2021 aus der Beklagten ausgeschlossen und als Geschäftsführer abberufen worden sei.
Der Kläger hat in der am 29.1.2024 beim LG eingegangenen Klageschrift angegeben, dass der Streitwert 25.000 € betrage. Aus diesem Streitwert wurde von der Kostenbeamtin am 7.2.2024 ein Vorschuss angefordert, der am 13.2.2024 eingezahlt wurde. Am 15.2.2024 hat der Vorsitzende mitgeteilt, dass die Angabe des vorläufigen Streitwerts nicht nachvollziehbar sei. Am 19.3.2024 hat der Kläger weitere Angaben zum Streitwert gemacht. Mit Beschluss vom 21.3.2024 hat die Kammer den Streitwert dann vorläufig auf 7.396.464 € festgesetzt. Der Beschluss ist dem Klägervertreter am 1.4.2024 zugestellt worden. Am 8.4.2024 wurde der Vorschuss aus dem am 21.3.2024 vorläufig festgesetzten Streitwert angefordert. Der Vorschuss wurde am 25.7.2024 eingezahlt
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Gründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Betreffend die Klageanträge zu 1. bis 8. war die Klage nicht in der Anfechtungsfrist des § 9 Abs. 5 Gesellschaftsvertrag erhoben worden. Die Wahrung dieser Anfechtungsfrist, die einen Monat beträgt, ist eine materielle Klagvoraussetzung, die von dem Kläger darzutun und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Nach der Regelung in § 9 Abs. 5 Gesellschaftsvertrag war eine Anfechtung von Beschlüssen, die in der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 27.12.2023 festgestellt worden waren, unter Berücksichtigung von §§ 187 Abs. 1 Alt. 1, 188 Abs. 2, 193 BGB nur bis 29.1.2024 zulässig.
Zwar ist die Anfechtungsfrist auch dann gewahrt sein, wenn die Klage erst nach Fristablauf zugestellt, aber bereits vor Fristablauf durch Eingang bei Gericht anhängig gemacht wurde, wobei die Zustellung der Klage dann "demnächst" i.S.v. § 167 ZPO erfolgt sein muss. Nicht ausreichend hingegen ist die bloße Anhängigkeit der Klage. Insbesondere führt - wie hier - die Einzahlung des durch die Kostenbeamtin angeforderten Gerichtskostenvorschusses nicht dazu, dass der Kläger alle für eine ordnungsgemäße Klagezustellung geforderten Mitwirkungshandlungen erbracht hat, sofern er den Streitwert in der Klageschrift bewusst erheblich zu niedrig angegeben hat, und der Kostenvorschuss aus diesem Streitwert angefordert wurde.
Es lagen auch keine Umstände vor, die zu der Nichtigkeit eines oder mehrerer Beschlüsse führten. Insbesondere waren die auf der Gesellschafterversammlung vom 27.12.2023 gefassten Beschlüsse nicht analog § 241 Nr. 1 AktG nichtig, weil der Nebenintervenient am 28.7.2021 wirksam als Geschäftsführer abberufen und aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden wäre. Der Kläger war nämlich seinerseits nicht berechtigt, am 7.7.2021 eine Gesellschafterversammlung der Beklagten für den 28.7.2021 einzuberufen, da er mit förmlich festgestelltem Gesellschafterbeschluss vom 30.3.2021 als Geschäftsführer der Beklagten abberufen worden war. Dass der Kläger diesen Beschluss im Klageverfahren angefochten hatte, änderte nichts an dem Umstand, dass der Abberufung eine vorläufige Verbindlichkeit zukommt mit der Folge, dass jedenfalls bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung - die hier gerade noch nicht vorliegt - davon auszugehen ist, dass der Abberufungsbeschluss Bestand hat.
Die Klage war letztlich auch betreffend die Klageanträge zu 9. bis 11. unbegründet. Die Beschlüsse, die nach Ansicht des Klägers in der "wiedereröffneten bzw. fortgesetzten Gesellschafterversammlung" gefasst worden sein sollen, waren nicht im Rahmen einer ordnungsgemäßen Gesellschafterversammlung zustande gekommen.
Mehr zum Thema:
Aktionsmodul Gesellschaftsrecht
Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen. Sicher beraten und gestalten: Die nutzerfreundliche und funktionsstarke Datenbank lässt sich mit Answers kombinieren. 4 Wochen gratis nutzen!
LaReDa Hessen
Die Beklagte ist eine GmbH. Kläger und Nebenintervenient sind Brüder, die sich bereits seit Jahren miteinander streiten. Der Kläger war an dem Stammkapital der Beklagten mit 49,5 % beteiligt, der Nebenintervenient mit 50,5 %. Der § 9 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrags lautet wie folgt:
"Die Einlegung von Rechtsmitteln jeder Art gegen Gesellschafterbeschlüsse ist nur innerhalb einer Frist von einem Monat nach Beschlussfassung zulässig."
Am 30.3.2021 fand eine Gesellschafterversammlung statt, auf der die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer beschlossen wurde. Das LG Darmstadt erklärte den Beschluss später für nichtig. Das OLG Frankfurt a.M. bestätigte die Entscheidung. Unter dem Az. II ZR 111/24 ist eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH anhängig. Am 28.7.2021 fand eine weitere Gesellschafterversammlung statt, zu welcher der Kläger eingeladen hatte und auf welcher der Nebenintervenient als Geschäftsführer abberufen und aus der Beklagten ausgeschlossen wurde. Auch hier erklärte das LG Darmstadt diverse Beschlüsse für nichtig. Die dagegen gerichtete Berufung ist noch anhängig.
Der Nebenintervenient lud den Kläger mit undatiertem Schreiben zu einer Gesellschafterversammlung für den 27.12.2023 ein. Der Kläger erhielt die Einladung am 11.12.2023. Der Kläger wandte umgehend an den Nebenintervenienten und wies die Einladung als unwirksam zurück. Außerdem machte er ein Ergänzungsverlangen der Tagesordnung nach § 50 Abs. 2 GmbHG geltend und für den Fall, dass dem Ergänzungsverlangen nicht entsprochen wird, kündigte er an, die Tagesordnung nach § 50 Abs. 3 GmbHG selbst zu ergänzen.
Auf der Gesellschafterversammlung am 27.12.2023 rügte der Kläger die seiner Ansicht nach unwirksame Einladung. Die Versammlung verlief erwartungsgemäß chaotisch, der Nebenintervenient stimmte jeweils höchstvorsorglich unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung von Rügen gegen die jeweiligen Beschlussvorschläge, der Kläger jeweils dafür. Der Kläger war der Auffassung, dass der Nebenintervenient bereits mit Beschluss vom 28.7.2021 aus der Beklagten ausgeschlossen und als Geschäftsführer abberufen worden sei.
Der Kläger hat in der am 29.1.2024 beim LG eingegangenen Klageschrift angegeben, dass der Streitwert 25.000 € betrage. Aus diesem Streitwert wurde von der Kostenbeamtin am 7.2.2024 ein Vorschuss angefordert, der am 13.2.2024 eingezahlt wurde. Am 15.2.2024 hat der Vorsitzende mitgeteilt, dass die Angabe des vorläufigen Streitwerts nicht nachvollziehbar sei. Am 19.3.2024 hat der Kläger weitere Angaben zum Streitwert gemacht. Mit Beschluss vom 21.3.2024 hat die Kammer den Streitwert dann vorläufig auf 7.396.464 € festgesetzt. Der Beschluss ist dem Klägervertreter am 1.4.2024 zugestellt worden. Am 8.4.2024 wurde der Vorschuss aus dem am 21.3.2024 vorläufig festgesetzten Streitwert angefordert. Der Vorschuss wurde am 25.7.2024 eingezahlt
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die Gründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Betreffend die Klageanträge zu 1. bis 8. war die Klage nicht in der Anfechtungsfrist des § 9 Abs. 5 Gesellschaftsvertrag erhoben worden. Die Wahrung dieser Anfechtungsfrist, die einen Monat beträgt, ist eine materielle Klagvoraussetzung, die von dem Kläger darzutun und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Nach der Regelung in § 9 Abs. 5 Gesellschaftsvertrag war eine Anfechtung von Beschlüssen, die in der Gesellschafterversammlung der Beklagten am 27.12.2023 festgestellt worden waren, unter Berücksichtigung von §§ 187 Abs. 1 Alt. 1, 188 Abs. 2, 193 BGB nur bis 29.1.2024 zulässig.
Zwar ist die Anfechtungsfrist auch dann gewahrt sein, wenn die Klage erst nach Fristablauf zugestellt, aber bereits vor Fristablauf durch Eingang bei Gericht anhängig gemacht wurde, wobei die Zustellung der Klage dann "demnächst" i.S.v. § 167 ZPO erfolgt sein muss. Nicht ausreichend hingegen ist die bloße Anhängigkeit der Klage. Insbesondere führt - wie hier - die Einzahlung des durch die Kostenbeamtin angeforderten Gerichtskostenvorschusses nicht dazu, dass der Kläger alle für eine ordnungsgemäße Klagezustellung geforderten Mitwirkungshandlungen erbracht hat, sofern er den Streitwert in der Klageschrift bewusst erheblich zu niedrig angegeben hat, und der Kostenvorschuss aus diesem Streitwert angefordert wurde.
Es lagen auch keine Umstände vor, die zu der Nichtigkeit eines oder mehrerer Beschlüsse führten. Insbesondere waren die auf der Gesellschafterversammlung vom 27.12.2023 gefassten Beschlüsse nicht analog § 241 Nr. 1 AktG nichtig, weil der Nebenintervenient am 28.7.2021 wirksam als Geschäftsführer abberufen und aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden wäre. Der Kläger war nämlich seinerseits nicht berechtigt, am 7.7.2021 eine Gesellschafterversammlung der Beklagten für den 28.7.2021 einzuberufen, da er mit förmlich festgestelltem Gesellschafterbeschluss vom 30.3.2021 als Geschäftsführer der Beklagten abberufen worden war. Dass der Kläger diesen Beschluss im Klageverfahren angefochten hatte, änderte nichts an dem Umstand, dass der Abberufung eine vorläufige Verbindlichkeit zukommt mit der Folge, dass jedenfalls bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung - die hier gerade noch nicht vorliegt - davon auszugehen ist, dass der Abberufungsbeschluss Bestand hat.
Die Klage war letztlich auch betreffend die Klageanträge zu 9. bis 11. unbegründet. Die Beschlüsse, die nach Ansicht des Klägers in der "wiedereröffneten bzw. fortgesetzten Gesellschafterversammlung" gefasst worden sein sollen, waren nicht im Rahmen einer ordnungsgemäßen Gesellschafterversammlung zustande gekommen.
Aktionsmodul Gesellschaftsrecht
Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen. Sicher beraten und gestalten: Die nutzerfreundliche und funktionsstarke Datenbank lässt sich mit Answers kombinieren. 4 Wochen gratis nutzen!