15.09.2025

Weitergabe von Insiderinformationen durch einen Politiker

Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona hat dem EuGH seine Schlussanträge zur Verbreitung von Insiderinformationen über die Privatisierung eines öffentlichen Unternehmens durch einen Politiker vorgelegt.

EuGH, C 376/24: Schlussanträge des Generalanwalts vom 11.9.2025
Der Sachverhalt:
Das Verfahren betrifft die Frage, ob gegen einen Politiker, der in Interviews mit Medien eine mutmaßlich als Insiderinformation i.S.d. Richtlinie 2003/6 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation und der Marktmissbrauchsverordnung Nr. 596/2014 einzustufende Information weitergegeben hat, eine Sanktion verhängt werden durfte (hier: eine Geldstrafe i.H.v. 12.500 €). Die streitgegenständliche Information betraf die unmittelbar bevorstehende Privatisierung eines großen belgischen öffentlichen Unternehmens (Bpost). Der Politiker und ehemalige Minister, der die Informationen weitergegeben hat, macht geltend, er habe in Erfüllung seiner Aufgaben als Politiker gehandelt, um eine Debatte über diese Frage von allgemeinem Interesse anzuregen.

Das mit der Sache befasste Gericht in Belgien hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH in diesem Zusammenhang Fragen zur Auslegung insbesondere von Art. 10 und 21 der Marktmissbrauchsverordnung zur Vorabentscheidung vorgelegt. Im Mittelpunkt stehen zum einen das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (in diesem Fall eines Politikers) und zum anderen das Interesse am Schutz der Integrität der Finanzmärkte in Form des Verbots der Offenlegung von Insiderinformationen.

Art. 10 ("Unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen") der Marktmissbrauchsverordnung bestimmt:
"(1) Für die Zwecke dieser Verordnung liegt eine unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen vor, wenn eine Person, die über Insiderinformationen verfügt, diese Informationen gegenüber einer anderen Person offenlegt, es sei denn, die Offenlegung geschieht im Zuge der normalen Ausübung einer Beschäftigung oder eines Berufs oder der normalen Erfüllung von Aufgaben."

Art. 21 ("Weitergabe oder Verbreitung von Informationen in den Medien") der Marktmissbrauchsverordnung führt eine Sonderregel für die Beurteilung dessen ein, ob eine "unrechtmäßige Offenlegung von Insiderinformationen" vorliegt, wenn Informationen für journalistische Zwecke oder für andere Ausdrucksformen in den Medien offengelegt oder verbreitet werden.

In solchen Fällen gilt für die Beurteilung der Offenlegung oder Verbreitung von Informationen, dass 
  • "die Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien sowie der journalistischen Berufs- und Standesregeln zu berücksichtigen [sind]";
  • diese Regeln der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung nicht zu berücksichtigen sind, wenn den betreffenden Personen (oder mit diesen Personen in enger Beziehung stehenden Personen) unmittelbar oder mittelbar ein Vorteil oder Gewinn aus der Offenlegung oder Verbreitung der betreffenden Information erwächst oder wenn die Weitergabe oder Verbreitung in der Absicht erfolgt, den Markt in Bezug auf das Angebot von Finanzinstrumenten, die Nachfrage danach oder ihren Kurs irrezuführen.

Die Gründe:
Die Art. 10 und 21 der Marktmissbrauchsverordnung sind i.V.m. Art. 11 der Charta der Grundrechte der EU dahin auszulegen, dass

  • Art. 21 der Verordnung auf die Verbreitung einer Insiderinformation durch einen Politiker anzuwenden ist, der ehemaliger Minister und Mitglied einer Oppositionspartei ist, sich in dieser Eigenschaft in den Medien äußert und damit beabsichtigt, eine öffentliche Debatte über eine Frage von allgemeinem Interesse anzuregen, um die unmittelbar bevorstehende Privatisierung des führenden nationalen Postbetreibers zu kritisieren, an dem der Staat bislang eine Mehrheitsbeteiligung gehalten hat; und
  • die Verbreitung dieser Information über die Medien als Verbreitung im Rahmen der normalen Erfüllung der Aufgaben eines Politikers i.S.v. Art. 10 der Verordnung angesehen werden kann. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu klären, ob diese Verbreitung zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich und verhältnismäßig ist und ob die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit, die in Art. 11 der Charta garantiert werden, in jedem Fall Vorrang genießen.

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