01.04.2022

Zahlung zur finanziellen Absicherung bei Aufhebung eines Unternehmensvertrags

Haben die Parteien eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags bei der Aufhebung des Unternehmensvertrags vereinbart, dass der Untergesellschaft zur finanziellen Absicherung für die Zeit nach Vertragsbeendigung eine Zahlung tatsächlich zufließen soll, ist die Forderung bei der Berechnung des fiktiven Jahresfehlbetrags auf den Aufhebungsstichtag nicht zu berücksichtigen.

BGH v. 18.1.2022 - II ZR 71/20
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist ein Finanzdienstleistungsunternehmen in der Rechtsform der GmbH. Sie hatte 2012 als Untergesellschaft mit der Beklagten als Obergesellschaft einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen, der erstmals zum Jahresende 2018 ordentlich kündbar war. Ende 2015 betrieben die Parteien die Trennung des Unternehmensverbunds, zu dem weitere Gesellschaften gehörten. Zu diesem Zweck schlossen sie am 31.10.2016 eine Trennungsvereinbarung. Danach sollten der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag aufgehoben sowie Anteilskäufe und -übertragungen vorgenommen werden, wozu es eines Inhaberkontrollverfahrens und der Billigung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bedurfte.

Die Klägerin bildete in der Folge ein Rumpfgeschäftsjahr vom 1.1.2016 bis 11.12.2016. Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag wurde am 8.12.2016 mit Wirkung zum 11.12.2016 einvernehmlich aufgehoben. Der Aufhebungsvertrag lautet auszugsweise:

"3 Entschädigungszahlung
3.1 Im Hinblick auf die Aufhebung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages und dem damit verbundenen Wegfall der Verlustausgleichspflicht des Organträgers, verpflichtet sich der Organträger aufschiebend bedingt auf den unter Ziffer 1 festgelegten Eintritt der Wirksamkeit der Aufhebung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, als Ersatz für die wegfallende Verlustübernahmeverpflichtung an die A. GmbH als Organgesellschaft eine Entschädigung in Höhe von 1.300.000 € zu zahlen.

3.2 Die Forderung ist ab dem 1.1.2017 zahlbar und zwei Wochen nach Wirksamkeit der Beendigung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags, frühestens jedoch am 15.1.2017 fällig und ist durch Banküberweisung auf das Konto der Organgesellschaft [...] zu zahlen."


Die Beklagte zahlte auf die vereinbarte Entschädigung im Januar 2017 rund 876.855  €.

Nach der Berechnung der Klägerin ist für das Rumpfgeschäftsjahr 2016 ein Jahresfehlbetrag i.H.v. 419.032 € entstanden, den sie als Verlustausgleich neben dem Restbetrag der Entschädigung i.H.v. 423.144 € nebst Zinsen und Rechtsverfolgungskosten von der Beklagten verlangt. Die Beklagte hat gegen den geltend gemachten restlichen Entschädigungsanspruch primär mit einem behaupteten Anspruch auf Gewinnabführung und hilfsweise mit einem Schadensersatzanspruch aufgerechnet.

Das LG hat der  Klage stattgegeben. Das OLG hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, soweit sie zur Zahlung an die Klägerin i.H.v. 419.032 € verurteilt worden war. Im Übrigen wurde die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.

Gründe:
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verlustausgleich i.H.v. 419.032 € zu und der Entschädigungsanspruch i.H.v. 423.144 € ist nicht durch die Primäraufrechnung mit einem Gewinnabführungsanspruch der Beklagten erloschen. Soweit die Beklagte die hilfsweise Aufrechnung gegen den Entschädigungsanspruch erklärt hat, muss das OLG noch die erforderlichen Feststellungen treffen.

Die in Unternehmensverträgen i.S.d. § 291 AktG enthaltenen körperschaftsrechtlichen Bestimmungen sind wie solche in Satzungen objektiv auszulegen. Die Auslegung kann in der Revisionsinstanz selbständig, d.h. ohne Bindung an die Auslegung in der Vorinstanz vorgenommen werden. Nichts anderes gilt für körperschaftsrechtliche Bestimmungen in Vereinbarungen, mit denen ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit einer GmbH als Untergesellschaft aufgehoben wird.

Zu Unrecht hat die Vorinstanz insofern die Entschädigungszahlung i.H.v. 1.300.000 € bei der Ermittlung des fiktiven Jahresfehlbetrags zum Stichtag 11.12.2016 berücksichtigt. Denn haben die Parteien eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags bei der Aufhebung des Unternehmensvertrags vereinbart, dass der Untergesellschaft zur finanziellen Absicherung für die Zeit nach Vertragsbeendigung eine Zahlung tatsächlich zufließen soll, ist die Forderung bei der Berechnung des fiktiven Jahresfehlbetrags auf den Aufhebungsstichtag nicht zu berücksichtigen.

Nach § 302 Abs. 1 AktG hat der andere Vertragsteil jeden während der Vertragsdauer sonst entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen, soweit dieser nicht dadurch ausgeglichen wird, dass den anderen Gewinnrücklagen Beträge entnommen werden, die während der Vertragsdauer in sie eingestellt worden sind. Im Vertragskonzern mit einer GmbH wie der Klägerin als Untergesellschaft ist der Rechtsgedanke des § 302 AktG entsprechend anzuwenden. Die Höhe des von der Obergesellschaft geschuldeten Ausgleichs nach § 302 AktG wird durch den sich bei objektiv ordnungsgemäßer Bilanzierung zum Bilanzstichtag ergebenden fiktiven Jahresfehl-betrag bestimmt. Endet der Unternehmensvertrag vor Ablauf eines Geschäftsjahrs, ist das herrschende Unternehmen zum Ausgleich der Verluste verpflichtet, die bis zu diesem Stichtag des Rumpfgeschäftsjahrs entstanden sind.

Maßgeblich für den Anspruch aus § 302 AktG ist der sonst bei der abhängigen Gesellschaft entstehende, fiktive Jahresfehlbetrag, wie er in der Gewinn- und Verlustrechnung der abhängigen Gesellschaft auszuweisen wäre, wenn ihm nicht der Anspruch gegen den anderen Vertragsteil gegenüberstünde. Tatsächlich kann sich bei der Aufstellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses ein Jahresfehlbetrag nicht ergeben, weil aus § 277 Abs. 3 Satz 2 HGB folgt, dass der Ertrag aus Verlustübernahme in die Gewinn- und Verlustrechnung eingeht. Der lediglich für die Berechnung des Verlustausgleichs maßgebliche fiktive Jahresfehlbetrag ist daher vorab zu ermitteln. Ob hierzu eine Vorbilanz aufzustellen, oder ob die Berechnung auch ohne formalisierte Vorbilanz möglich ist, kann dahinstehen. Jedenfalls ist im Vertragskonzern der auszugleichende Jahresfehlbetrag nicht das Ergebnis des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, sondern gemäß § 277 Abs. 3 Satz 2 HGB in diesen einzustellen, weshalb er vorab in einer eigenen, allein diesem Zweck dienenden Berechnung ermittelt werden muss.

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Aufsatz: Erstellung, Billigung und Veröffentlichung des aktienrechtlichen Vergütungsberichts (Philipps, AG 2021, 773)

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