Zum Anspruch eines Hochschullehrers auf Überlassung eines Gutachtens zur aktienrechtlichen Sonderprüfung
BGH v. 6.10.2025 - II ZB 19/24
Der Sachverhalt:
Die Rechtsbeschwerdeführer beantragten nach Zurückweisung ihres Sonderprüfungsantrags in der Hauptversammlung der Rechtsbeschwerdegegnerin vom 22.6.2016 gem. § 142 Abs. 2 AktG die gerichtliche Bestellung eines aktienrechtlichen Sonderprüfers im Zusammenhang mit der sog. "Dieselaffäre". Der Antrag wurde vom LG zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.
Der Antragsteller ist Ordinarius für Zivil- und Unternehmensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien mit der Lehrbefugnis u.a. für Gesellschaftsrecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung. Zu seinen aktuellen Forschungsgebieten zählt das Recht der aktienrechtlichen Sonderprüfung. Der Antragsteller begehrt als nicht am Verfahren Beteiligter Akteneinsicht durch Überlassung einer (geschwärzten) Kopie eines vom OLG eingeholten Rechtsgutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg (nachfolgend "MPI") vom 26.6.2024 zur Frage der Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer (fortan "Rechtsgutachten"). Ausweislich des Rechtsgutachtens ist die Weitergabe des Rechtsgutachtens an unbeteiligte Dritte nur nach vorheriger Zustimmung des MPI zulässig. Das MPI hat auf Nachfrage sein Einverständnis mit der Weitergabe an den Antragsteller erklärt.
Der Antragsteller beruft sich auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit. Zur Begründung seines Einsichtsbegehrens führt er im Einzelnen an, dass er das Rechtsgutachten zur besseren Nachvollziehbarkeit der Beschwerdeentscheidung benötige. Die Entscheidung des OLG sei für ihn nicht nachvollziehbar, soweit die Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer abgelehnt werde. Sein Interesse am Rechtsgutachten sei ausschließlich wissenschaftlicher Natur. Die Rechtsbeschwerdeführer haben ihr Einverständnis mit der Einsichtnahme erklärt, während die Rechtsbeschwerdegegnerin dem Einsichtsverlangen mit der Begründung entgegengetreten ist, der Antragsteller werde die Entscheidung des Beschwerdegerichts in einem Literaturbeitrag kritisch rezensieren, um so auf die Entscheidung des BGH im Rechtsbeschwerdeverfahren Einfluss nehmen zu wollen.
Der BGH entschied, dass dem Antragsteller Akteneinsicht durch Überlassung einer (geschwärzten) Kopie des vom OLG eingeholten Rechtsgutachtens des MPI zur Frage der Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer zu gewähren ist.
Die Gründe:
Die Voraussetzungen für eine Akteneinsicht nach § 13 Abs. 2 Satz 1 FamFG, der auf das gerichtliche Verfahren der Bestellung eines Sonderprüfers gem. § 142 Abs. 8 AktG anwendbar ist, liegen vor.
Der Antragssteller hat ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt. Dieses muss sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen, es geht über ein rechtliches Interesse i.S.v. § 299 Abs. 2 ZPO hinaus und ist anzunehmen, wenn ein vernünftiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse besteht, das auch tatsächlicher, etwa wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein kann und im allgemeinen dann vorliegen wird, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden kann. Soweit wissenschaftliche Interessen geltend gemacht werden, ist eine konkrete Darlegung des Forschungsvorhabens geboten, verbunden mit der Erläuterung, weshalb die Einsicht in die konkrete Akte geeignet ist, das Forschungsvorhaben zu fördern. Es genügt jedoch nicht die bloße Behauptung, wissenschaftlich tätig zu sein.
Der Antragsteller hat hier dargelegt, dass er sich im Rahmen seiner Forschung zum aktienrechtlichen Sonderprüfungsrechts mit der Frage der Beteiligtenfähigkeit US-amerikanischem Recht unterliegender Funds befasst und hierzu jüngst eine wissenschaftliche Publikation in einer Fachzeitschrift verfasst hat. Insoweit liegt es auf der Hand, dass der Inhalt des Rechtsgutachtens für seine wissenschaftlichen Tätigkeiten von Interesse ist und das wissenschaftliche Oeuvre fördern kann. Soweit die Rechtsbeschwerdegegnerin meint, der Antragssteller habe kein ernsthaftes wissenschaftliches Interesse an einer Würdigung des Rechtsgutachtens, weil er sich bereits eine abschließende Meinung gebildet habe, steht das einem berechtigten Interesse nicht entgegen. Denn der Antragsteller begründet die Einsichtnahme in das Rechtsgutachten gerade mit der Notwendigkeit der weiteren Aufklärung der Richtigkeit der Ansicht des OLG (und damit seiner eigenen). Die Wissenschaftsfreiheit umfasst i.Ü. aber auch das Recht, die eigene Ansicht unter Infragestellung abweichender Stimmen argumentativ zu verteidigen.
Schutzwürdige Interessen Dritter bzw. eines Beteiligten stehen der Einsichtnahme nicht entgegen. Die Befürchtung der Rechtsbeschwerdegegnerin, der Antragsteller werde unter Heranziehung des Rechtsgutachtens die Entscheidung des OLG in einem Literaturbeitrag kritisch bewerten, um auf die Entscheidung des BGH im Rechtsbeschwerdeverfahren Einfluss zu nehmen, stellt im Ausgangspunkt zwar noch ein schutzbedürftiges Vermögensinteresse der Rechtsbeschwerdegegnerin dar. Allerdings überwiegen die wissenschaftlichen Interessen des Antragstellers gegenüber jenem ausschließlich wirtschaftlichen Interesse. Zu berücksichtigen ist, dass das Rechtsgutachten allein auf die Rechtsbeschwerdeführer bezogene Daten enthält. Diese haben sich mit der Einsichtnahme des Antragstellers einverstanden erklärt. Die Rechtsbeschwerdegegnerin findet keine nähere Erwähnung. Zwar mag es aus deren Sicht lästig sein, dass sich der Antragsteller mit den Ergebnissen des Rechtsgutachtens möglicherweise kritisch und in einer Weise auseinandersetzt, die der für sie günstigen Sicht des OLG widerspricht. Eine solche Auseinandersetzung ist allerdings Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit und von der Rechtsbeschwerdegegnerin aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls hinzunehmen.
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Die Rechtsbeschwerdeführer beantragten nach Zurückweisung ihres Sonderprüfungsantrags in der Hauptversammlung der Rechtsbeschwerdegegnerin vom 22.6.2016 gem. § 142 Abs. 2 AktG die gerichtliche Bestellung eines aktienrechtlichen Sonderprüfers im Zusammenhang mit der sog. "Dieselaffäre". Der Antrag wurde vom LG zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.
Der Antragsteller ist Ordinarius für Zivil- und Unternehmensrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien mit der Lehrbefugnis u.a. für Gesellschaftsrecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung. Zu seinen aktuellen Forschungsgebieten zählt das Recht der aktienrechtlichen Sonderprüfung. Der Antragsteller begehrt als nicht am Verfahren Beteiligter Akteneinsicht durch Überlassung einer (geschwärzten) Kopie eines vom OLG eingeholten Rechtsgutachtens des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg (nachfolgend "MPI") vom 26.6.2024 zur Frage der Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer (fortan "Rechtsgutachten"). Ausweislich des Rechtsgutachtens ist die Weitergabe des Rechtsgutachtens an unbeteiligte Dritte nur nach vorheriger Zustimmung des MPI zulässig. Das MPI hat auf Nachfrage sein Einverständnis mit der Weitergabe an den Antragsteller erklärt.
Der Antragsteller beruft sich auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit. Zur Begründung seines Einsichtsbegehrens führt er im Einzelnen an, dass er das Rechtsgutachten zur besseren Nachvollziehbarkeit der Beschwerdeentscheidung benötige. Die Entscheidung des OLG sei für ihn nicht nachvollziehbar, soweit die Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer abgelehnt werde. Sein Interesse am Rechtsgutachten sei ausschließlich wissenschaftlicher Natur. Die Rechtsbeschwerdeführer haben ihr Einverständnis mit der Einsichtnahme erklärt, während die Rechtsbeschwerdegegnerin dem Einsichtsverlangen mit der Begründung entgegengetreten ist, der Antragsteller werde die Entscheidung des Beschwerdegerichts in einem Literaturbeitrag kritisch rezensieren, um so auf die Entscheidung des BGH im Rechtsbeschwerdeverfahren Einfluss nehmen zu wollen.
Der BGH entschied, dass dem Antragsteller Akteneinsicht durch Überlassung einer (geschwärzten) Kopie des vom OLG eingeholten Rechtsgutachtens des MPI zur Frage der Beteiligtenfähigkeit der Rechtsbeschwerdeführer zu gewähren ist.
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Die Voraussetzungen für eine Akteneinsicht nach § 13 Abs. 2 Satz 1 FamFG, der auf das gerichtliche Verfahren der Bestellung eines Sonderprüfers gem. § 142 Abs. 8 AktG anwendbar ist, liegen vor.
Der Antragssteller hat ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht dargelegt. Dieses muss sich nicht auf ein bereits vorhandenes Recht stützen, es geht über ein rechtliches Interesse i.S.v. § 299 Abs. 2 ZPO hinaus und ist anzunehmen, wenn ein vernünftiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse besteht, das auch tatsächlicher, etwa wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art sein kann und im allgemeinen dann vorliegen wird, wenn ein künftiges Verhalten des Antragstellers durch Kenntnis vom Akteninhalt beeinflusst werden kann. Soweit wissenschaftliche Interessen geltend gemacht werden, ist eine konkrete Darlegung des Forschungsvorhabens geboten, verbunden mit der Erläuterung, weshalb die Einsicht in die konkrete Akte geeignet ist, das Forschungsvorhaben zu fördern. Es genügt jedoch nicht die bloße Behauptung, wissenschaftlich tätig zu sein.
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Schutzwürdige Interessen Dritter bzw. eines Beteiligten stehen der Einsichtnahme nicht entgegen. Die Befürchtung der Rechtsbeschwerdegegnerin, der Antragsteller werde unter Heranziehung des Rechtsgutachtens die Entscheidung des OLG in einem Literaturbeitrag kritisch bewerten, um auf die Entscheidung des BGH im Rechtsbeschwerdeverfahren Einfluss zu nehmen, stellt im Ausgangspunkt zwar noch ein schutzbedürftiges Vermögensinteresse der Rechtsbeschwerdegegnerin dar. Allerdings überwiegen die wissenschaftlichen Interessen des Antragstellers gegenüber jenem ausschließlich wirtschaftlichen Interesse. Zu berücksichtigen ist, dass das Rechtsgutachten allein auf die Rechtsbeschwerdeführer bezogene Daten enthält. Diese haben sich mit der Einsichtnahme des Antragstellers einverstanden erklärt. Die Rechtsbeschwerdegegnerin findet keine nähere Erwähnung. Zwar mag es aus deren Sicht lästig sein, dass sich der Antragsteller mit den Ergebnissen des Rechtsgutachtens möglicherweise kritisch und in einer Weise auseinandersetzt, die der für sie günstigen Sicht des OLG widerspricht. Eine solche Auseinandersetzung ist allerdings Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit und von der Rechtsbeschwerdegegnerin aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls hinzunehmen.
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