12.06.2023

Zur Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs nach § 39 Abs. 5 InsO bei koordinierter Finanzierung

Für das Kleinbeteiligtenprivileg im Fall der Anfechtung der Rückzahlung eines Darlehens oder einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung des Gesellschafters genügt es, dass seine Voraussetzungen in dem Zeitraum von einem Jahr vor Beantragung des Insolvenzverfahrens vorliegen. Auf die Verhältnisse in der Zeit davor, insbesondere zum Zeitpunkt der Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters, kommt es grundsätzlich nicht an. Für die Annahme einer der Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs entgegenstehenden koordinierten Finanzierung genügt es nicht, dass der geringfügig beteiligte Gesellschafter einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung an den Schuldner in der Gesellschafterversammlung nur zustimmt, ohne damit zugleich eine über seine Rolle hinausgehende unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.

BGH v. 20.4.2023 - IX ZR 44/22
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 4.4.2019 am 1.7.2019 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH (Schuldnerin). Das Stammkapital der Schuldnerin beträgt 230.000 €. Seit dem 1.1.2015 ist der Beklagte Gesellschafter der Schuldnerin. Sein Geschäftsanteil beläuft sich auf 23.000 € (10 v.H.). Die übrigen 90 v.H. des Stammkapitals werden von F (Mehrheitsgesellschafterin) gehalten.

In der Zeit vom 3.11.2014 bis zum 29.12.2017 war der Beklagte auch Geschäftsführer der Schuldnerin. In diesem Zeitraum, am 26.6.2017, beschloss die Gesellschafterversammlung, den Überschuss aus dem Jahr 2016 sowie Gewinne aus den Vorjahren von insgesamt 685.000 € auf neue Rechnung vorzutragen. Am 8.6.2018 beschloss die Gesellschafterversammlung die Ausschüttung dieses Betrags an die Gesellschafter entsprechend den Beteiligungsverhältnissen. In Ausführung des Beschlusses zahlte die Schuldnerin am 29.6.2018 an den Beklagten 68.500 €. Der Beklagte stimmte in beiden Gesellschafterversammlungen mit der Mehrheitsgesellschafterin. Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Erstattung des Betrags von 68.500 € von dem Beklagten.

Das LG gab der Klage statt; das OLG wies sie ab. Die Revision des Klägers hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Gewinnausschüttung von 68.500 € an den Beklagten nicht vor.

Vorliegend scheidet eine Anfechtung bereits deshalb aus, weil der Beklagte in dem Zeitraum von einem Jahr vor Insolvenzantragstellung durchgängig unter das Kleinbeteiligtenprivileg gem. § 39 Abs. 5 InsO fiel, nachdem er in dieser Zeit nicht mehr Geschäftsführer der Schuldnerin war. Nach der Bestimmung, die gem. § 135 Abs. 4 InsO für die Anfechtung entsprechend gilt, gilt § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft i.S.v. § 39 Abs. 4 Satz 1 InsO, der mit 10 v.H. oder weniger am Haftkapital beteiligt ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Auch eine Beteiligung von genau 10 v.H. fällt unter das Kleinbeteiligtenprivileg gem. § 39 Abs. 5 InsO. Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift im Sinne einer Beschränkung auf Beteiligungen von weniger als 10 v.H. scheidet aus, wie der Senat bereits entschieden hat (BGH, Urteil vom 26.1.2023 - IX ZR 85/21, ZIP 2023, 705 Rn. 21 f).

Für die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen von § 39 Abs. 5 InsO kommt es entsprechend § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO grundsätzlich auf die Verhältnisse während des letzten Jahres vor Insolvenzantragstellung an. Damit ist entscheidend, dass der Beklagte bereits am 29.12.2017 und damit vor Beginn dieses Zeitraums aus der Geschäftsführung der Schuldnerin ausgeschieden ist. Die Frage ist allerdings umstritten. Nach einer Auffassung kann das Kleinbeteiligtenprivileg nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 39 Abs. 5 InsO bereits im Zeitpunkt der Darlehensgewährung vorlagen. Eine spätere Verringerung der Beteiligung auf 10 v.H. oder weniger oder eine spätere Aufgabe der Tätigkeit als Geschäftsführer der Gesellschaft rechtfertigt danach nicht die Anwendung der. Nach anderer und überwiegender Ansicht ist das Kleinbeteiligtenprivileg anzuwenden, wenn die Geschäftsführung vor Beginn des Zeitraums gem. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO niedergelegt wurde und die Beteiligung im entscheidenden Zeitraum höchstens 10 v.H. betrug. Die zweite Auffassung trifft zu.

Zu einer abweichenden Würdigung führt auch nicht der Gesichtspunkt einer koordinierten Finanzierung der Gesellschaft durch einen Minderheitsgesellschafter im Zusammenwirken mit dem Mehrheitsgesellschafter. Die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen koordinierten Vorgehensweise des Beklagten mit der Mehrheitsgesellschafterin liegen nicht vor. Allerdings kann - wie der Senat entschieden hat (s.o.) - im Hinblick auf die Anwendung von § 135 Abs. 1 Nr. 1, § 39 Abs. 5 InsO eine koordinierte Finanzierung mit der Folge der Zusammenrechnung der Beteiligungen der an der Finanzierung beteiligten Gesellschafter auch nach Maßgabe der neuen Rechtslage gemäß dem MoMiG nach den Umständen des Einzelfalls zur Verneinung der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs führen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Finanzierung vor oder nach Eintritt der Krise der Gesellschaft vorgenommen worden ist. Maßgeblich ist vielmehr allein die Übernahme einer über den nominellen Gesellschaftsanteil hinausgehenden, überschießenden unternehmerischen Verantwortung des Kleinbeteiligten, die in einer koordinierten Fremdfinanzierung wie beispielsweise einer Konsortialvereinbarung zum Ausdruck kommen kann.

Hier liegen die Voraussetzungen für ein koordiniertes Vorgehen des Beklagten und der Mehrheitsgesellschafterin der Schuldnerin nicht vor. Die Stellung eines Gesellschafters als Geschäftsführer ist hierfür ohne Bedeutung. Eine davon unabhängige koordinierte Finanzierung mit einer überschießenden unternehmerischen Verantwortung, die sich aus den im Zusammenhang mit dem Gewinnverwendungsbeschluss getroffenen Abreden ergeben könnte, ist nicht ersichtlich. Das bloße Einvernehmen der Gesellschafter bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung, die Zustimmung des Beklagten zu dem Gewinnvortrag, genügt für eine solche Annahme nicht. Allein in dieser, den üblichen Rahmen einer Beschlussfassung der Gesellschafter nicht verlassenden Zustimmung liegt keine Übernahme einer überschießenden unternehmerischen Verantwortung. Der Beklagte ist damit nicht über seine Rolle als Kleinbeteiligter hinausgegangen.

Mehr zum Thema:

Kurzbeitrag:
BGH: Keine Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs nach § 39 Abs. 5 InsO wegen koordinierter Fremdfinanzierung
ZIP 2023, R5
ZIP0053526

Rechtsprechung:
Keine Anwendung des Kleinbeteiligungsprivilegs gem. § 39 Abs. 5 InsO wegen koordinierter Finanzierung der Schuldnerin durch mehrere Gesellschafter
BGH vom 26.01.2023 - IX ZR 85/21
ZIP 2023, 705
ZIP0053643

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